Volltext: Kunstgeschichte des Alterthums

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Hellas. 
fende Charakteristik und Wahrheit in Zeichnung und Farbe gelungen. 
Mehr als Bravourstück mag die Blitzgruppe gelten: allein wer niöchte 
das Bild desswegen geringschätzen, weil statt Zeus Donner und Blitz 
vergegenwärtigt war, wie es wohl kein Meister des Alterthums und 
vielleicht der Neuzeit wagen dürfte! Mochte auch die reine Reflexion 
das Motiv geben, der Maler war doch derselbe, 0b er die Kassandra 
oder die Diabole malte, ob er den unvergleichlichen Virtuosen mehr 
oder weniger herauskehrte, und nur dann wird Apelles richtig gewür- 
digt werden, wenn wir ihn mehr als Maler wie als Künstler im Allge- 
meinen behandeln. Als solcher aber lässt er zunächst eine allseitige 
technische Vollkommenheit erkennen. Verschiedene Notizen zeigen ihn 
als den gewandten sicheren Zeichner, der seine Linien nicht blos cor- 
rect, sondern auch im höchsten Grade charakteristisch zog. Des Apelles 
Wort: vKein Tag ohne LlHiCu d. h. ohne Zeichnungsübung, ist, wenn 
auch nicht in dem ursprünglichen Sinne, sprüchwörtlich geworden. 
Durch diese unablässige Uebung erhielt seine Hand jene Sicherheit, 
dass sie unbedingt dem Willen folgte und selbst die haarspaltende Lei- 
stung ermöglichte, wie sie die neuerlich wohl mit Unrecht in das Gebiet 
der Fabeln verwiesene Anekdote von der berühmten Linie berichtet. 
Es soll nemlich Apelles, in die Werkstatt des eben abwesenden Proto- 
genes getreten, seine Ankunft durch Auftragung einer Linie auf eine 
eben präparirte Tafel angezeigt haben, an deren Schwung, Reinheit, 
Sicherheit und Gleichmässigkeit auch der rückkehrende rhodische Meister 
die Hand des Apelles erkannte. Um aber sich als ebenbürtig zu erwei- 
sen, spaltete Protogenes die Linie durch eine zweite in anderer Farbe, 
erkannte sich jedoch als überwunden, als Apelles auch noch diese mit 
einer dritten Farbe der Länge nach theilte. Auf die Sicherheit und 
Schärfe der Charakterisirung durch einfache Linien weist auch die Er- 
zählung hin, nach welcher Apelles einen ihn beleidigenden Lakai, der 
abwesend und vom Künstler nur einmal flüchtig gesehen worden war, 
mit einer Kohle an die Wand so skizzirte, dass der König Ptolemäos 
den Schuldigen schon nach den ersten Strichen erkannte. Wie sehr die 
Fähigkeit einer so scharfen Charakterisirung dem Künstler als Porträti- 
sten zu Statten kam, ist selbstverständlich; seine Bildnisse erreichten 
auch eine so schlagende Aehnlichkeit und Wahrheit, dass ein Metopo- 
skop (Phrenologe) sich vermessen konnte, aus ihnen nicht blos das Le- 
bensjahr, sondern sogar das künftige Todesjahr ersehen zu können. 
Dass aber die Zeichnung sowohl in Hinsicht auf Correctheit und Cha- 
rakteristik als auch auf Schönheit das Höchste leistete, dafür bedarf es 
in Erinnerung an die Anadyomene keines weiteren Nachweises.
	        
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