Volltext: Kunstgeschichte des Alterthums

Plastik. 
Die rhodische Schule. 
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ungewöhnliche Begabung, Schultüchtigkeit und Erfahrung gewachsen 
war. Es War jedoch damit Gelegenheit zum Ueberbieten alles Vor- 
handenen, zur Darlegung der künstlerisch-technischen Ueberlegenheit 
gegeben. Die lysippische Basis ist nanlentlich an dem Laokoonkörper, 
verglichen mit den Heraklestypen kaum zweifelhaft; allein die von 
Lysippos aus dem Leben entwickelten Formen verrathen hier wie an 
dem pergamenischen Marsyas anatomisches Studium, es fehlt der le- 
bensvolle Fluss, die überdetaillirten Muskeln sind zu sehr studirt, verein- 
zelt und zerklüftet, sind Marmor und nicht Fleisch. Die Composition 
nach dem Leben war unthunlich, der Vorgang ist in Wirklichkeit nicht 
möglich und ist absichtlich so angeordnet, wie er, in Wirklichkeit nicht 
werden konnte, nemlich durchaus berechnet und auf den grösstmöglichen 
Plffect hin entwickelt. Der Effect ist aber keineswegs ein blos formaler, 
auf das unruhige und beunruhigende Linienspiel in Stellung, Musculatur 
und Schlangenwindungen beschränkter, er ist auch ein im höchsten 
Grade pathetischeix. Finden wir demnach auch die pathetischen Ele- 
mente der praxitelischen Schule an dem Kunstwerk und somit die beiden 
vorausgegangenen Hauptrichtungen zusammengefasst, so erscheint die 
eine wie die andere ostentiös outrirt. Denn das Pathos tritt uns zu aus- 
schliessend entgegen, nicht gemildert durch eine ethische Grundlage, 
und desshalb macht auch das Werk selbst nicht die tragische Wirkung, 
wie sie im Stoffe sophokleischer Bildung liegt, da in der Gruppe nur die 
Wirkung auftritt, ohne selbst die Ursache auch nur andeuten zu kön- 
nen. Das Pathetische verschmilzt aber statt mit dem Ethischen vielmehr 
mit dem prononcirt Pathologischen des Vorgangs. Technik, künst- 
lerische Composition, Effect, Alles ist bewundernswerth, allein es ist 
Viituosenthum; unsere Bewunderung gilt den Künstlern, die das zu 
machen im Stande waren, nicht dem Werke als etwas Gcwordenem. 
Dieses Virtuosenthum, allerdings im vornehmsten Sinne, das zwar auch 
an die besten Aufgaben herangeht, aber sie in einem sich selbst in den 
Vordergrund stellenden Sinne behandelt, zu gerne jedoch das- die tech- 
nische und künstlerische Meisterschaft in's meiste Licht Setzende dem 
absolut und an sich Vollkommenen vorzieht, wird als der Grundzug der 
rhodischen Kunst nicht in Abrede zu stellen sein. 
Dasselbe gilt von dem zweiten Hauptwerke, dem sog. farnesischen 
Stier (Fig. 196), der Schöpfung von zwei Künstlern aus Tralles, Apol- 
lo ni 0 s und Ta-u risk os, welche jedoch wahrscheinlich in Rhodos 
gearbeitet haben, weil die Gruppe nach Plinius dort aufgestellt war, bis 
Sie unter Augustus nach Rom kamf Bald nach Entdeckung des Laokoon 
in den Thermen des Caracalla gefunden, wurde die umfängliche Marmor- 
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