Plastik.
Die pergalnenische Schule.
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schräg vorspringenden nordischen Nase, der bis auf die Oberlippe ge-
Schorene" Bart, die kräftigen Backenknochen, der Heischige und etwas
grobförmige Körper, die derbe an Händen und Füssen geradezu schwie-
lige Haut, das gedrehte Halsband (torqucs) und das gebogene Schlacht-
horn liessen die Bedeutung des sog. sterbenden Fechters schon seit
Langem (Nibby) erkennen, und auch an der Gruppe der Villa Ludovisi
benimmt derselbe Marmor, die gleiche eigenthümliehe Formenbehand-
ilung und der gleiche männliche Kopf jeden Zweifel, dass auch sie einer
grössern einen Sieg über die Gallier darstellenden Gruppe angehörte.
An ein römisches Denkmal ist nach dem Styl nicht zu denken, und un1
so Weniger, als einige Notizen über das athenische Wcihgeschenk des
Attalos jeden Einwand vollends beseitigen.
Das Neue, was uns an diesen Monumenten und somit an der per-
gamenischen Kunstschule entgegentritt, ist die charakteristisch durch-
geführte Unterscheidung der Race. Wenn früher Barbaren darzustellen
Waren, so begnügte man sich mit Costüm und Aeusserlichkeiten, um
die Nationalität klar zu machen. Diess konnte nach Lysippos, welcher
an seinen Porträtbildern die individuelle Charakterisirung zu so bedeu-
tender Höhe brachte, und möglicherweise an der Granikosgruppe die
Perser auch in Bezug auf Körperformen bereits unterschieden hatte,
nicht mehr genügen. Durch die Porträtbildnerei in Gruppen war man
auf Handlung und historische Wahrheit, somit auf historische Kunst
hingedrangt. Diese finden wir hier vollendet; die ideale Kampfscene
baut sich aus realen Einzelheiten auf; es ist nicht mehr ein Kampf unter
Menschen schlechthin, es stehen sich hier Griechen und Kelten, jedes
Volk in seiner in vollen Zügen gezeichneten Eigenart gegenüber, und
zwar sind die Barbaren nicht blos ausserlich unterschieden, sondern in
ihrer leidenschaftlichen Wildheit auch dem Wesen nach charakterisirt.
Diess bestätiget eine Anzahl von Figuren, welche sich aus dem
athenischen Weihgeschenke des Attalos erhielten, und deren Zusam-
menhang mit dem sterbenden Gallier und der pergamenischen Schule
erkannt zu haben, Brunn's Verdienst ist. Nach Pausanias bestand das
Weihgeschenk aus Figuren von halber Lebensgrösse in vier Gruppen,
dem Giganten- und dem Amazonenkampf, der Schlacht bei Marathon
und dem Siege des Attalos. Aus allen sind noch Figuren übrig; von
der ersteren ein todt hingestreckter Gigant (Neapel), von der zweiten
eine gefallene Amazone (ebenda), aus der dritten ein behoster todter
und zwei knieende nackte Perser (Neapel, Vatican und im Besitz Ca-
stellanfs) und aus der vierten fünf Gallier, von denen zwei knieende (Ve-
nedig und Paris) wie ein rücklings niedersinkender {iVenedigl als solche