Plastik.
Lysippos und dessen Schule.
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das dem Maasse nach {über 30 M. Höhe grösste Werk Griechenlands
schuf, nemlich den Sonnenkoloss zu Rhodos. Da ihn Plinius als bereits
gestürzt, und zertrümmert schildert, so bieten seine Worte über Auf-
fassung und Styl nichts dar, und die landläuüge Vorstellung, als sei er so
über der Hafeneinfahrt gestanden, dass die Schiffe zwischen seinen Bei-
nen durchführen, ist nichts als eine an die projectirte Athosfigur des
Deinokrates erinnernde Fabel. Selbständiger scheint unter den Ly_
sipposschülern Eutychides gewesen zu sein, dessen Stadtgöttin An-
tiocheia, von welcher sich eine Copie im Vatican befindet, durch die
trefflich motivirte bequeme Stellung wie durch effectvolle Gewandung
sich auszeichnet, aber auch in ihrer genrehaften Behandlung jeden Ge-
danken an religiöse Kunst, welcher stets eine gewisse Strenge und
Würde anhaften muss, ausschliesst. War aber die Stadtgöttin behaglich
hingegossen, wie wohl die Stadt selbst, so erschien eine andere Perso-
nification, der Flussgott Eurotas vflüssiger wie Wasseru, und wir dürfen
uns beides gewiss nicht als einen gelungenen Zufall, sondern als eine
Weiterbildung jener Charakterzeichnilngen des Lysippos erklären, in
welchen der grosse sikyonische Meister bei seinen Porträts das ganze
Wesen zu erfassen und zu verkörpern strebte.
Mit Lysippos waren die Hauptrichttlngeil der Kunstentwicklung
erschöpft, die Höhe derselben von allen Seiten erreicht. vDer Gipfel
liegt hinter uns, wir steigen abwärts, und mag unser Weg zur Tiefe uns
zunächst noch durch reizende Gelände führeni die rechte reine Aether-
klarheit hört bald auf uns zu umstrahlen, und vor dem weiterschauen-
den Blicke taucht aus dem Nebel ferner jahrhunderte schon die un-
endliche fiache Wüste auf, in deren Sande der Strom der griechischen
Kunst zu versiegen bestimmt iStu (Overbeck). Alexander selbst hatte
noch über den letzten der sieben grossen plastischen Meister zu gebie-
ten; mit ihm endete, wie überhaupt die Grösse des Hellcnenthums, so
auch die frische Unmittelbarkeit des hcllenischen Schaffens. Er wie seine
Nachfolger bauten zwar Tempel nach wie vor, welche mit Götterbildern
und mit äusserem bildnerischen Schmuck zu versehen waren; aber man
entnahm die Vorbilder hiezu jenen früheren Werken, die zu typischer,
kanonischer Bedeutung sich erhebend doch nicht mehr zu überbieten
waren, und bewegte sich einfach reproducirend um so lieber in dem
gegebenen bequemen Geleise, als in der alexandrinischen Periode zer-
setzender Skepticismus, leerer Formalismus und erkältender Indifferen-
tismus an die hellenische Religion bereits die vielschneidige Axt gelegt
hatten. Mit der Ausbreitung des Hellenenthums bis in das Herz von
Asien verlor dieses selbst und mit ihm die Kunst am inneren Wesen,