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Hellas.
Künstler in hohem Ansehen, welche nicht blos zum Theil ihre eigenen
Wege gingen, sondern auf diesen sogar über das Gebiet jener hinaus-
und Zielen zustrebten, welche erst von der Mitte des 4. Jahrhunderts an
und von einer andern Kunststätte aus herrschend wurden. Diess waren
Silanion aus Athen und Euphranor vom Isthmos. Der erstere,
mehr Porträt- und Siegerdarstellungen zugewandt und namentlich jene
so bezeichnend wiedergebend, dass sie geradezu als Verkörperun-
gen des betreffenden Charakters erschienen, wie z. B. in dem Bildniss
des leidenschaftlichen Bildhauers Apollodoros der personificirte jähzorn
zur Erscheinung kam, unterschied sich schon durch die Gegenstände
seiner Kunst, welche er vielmehr mit einem Lysippos gemein hatte, be-
stimmt von Praxiteles, wie auch Euphranor, der zugleich undwahr-
scheinlich überwiegend Maler war, in der derberen Kraft seiner Schö-
pfungen, soweit wir wenigstens von seinen Gemälden auf seine statuari-
sehen Arbeiten schliessen dürfen, sich zu der weichen praxitelischen
Richtung in Gegensatz stellte und ebenfalls der lysippischen verwandter
erwies. Beide nehmen daher, ähnlich der Uebergangsstellung des Ke-
phisodotos des Aelteren zwischen Phidias und Skopas, eine Art von Mit-
telstufe zwischen der skopas --praxitelischen und der lysippischen Kunst
ein, welche letztere sie auch durch Studien und Neuerungen im Gebiete
des menschlichen wKanona vorbereiteten.
Der Schauplatz einer durchgreifenden Ausbildung der von den Ge-
nannten angezeigten Richtung wurde Sikyon, ihr Träger Lysippos.
Wenn auch Autodidakt, denn er soll als Jüngling handwerklicher Erz-
arbeiter gewesen sein und von daher sich zum Künstler aufgeschwungen
haben, war er doch nicht ohne Schulzusammenhang; denn er nannte
selbst des Polyklet Doryphoros, jenes oben besprochene akademische
Ateliermuster, sein Vorbild, und blieb auch bei dem polykletischen
und überhaupt peloponnesischen Materiale, der Bronze. Doch kann man
ihn auch keinen unmittelbaren Schüler Polyklets nennen; denn dessen
Kanon wurde von ihm gleichsam corrigirt und sogar durch einen neuen
ersetzt, welcher der Kunstvorstellung des jüngeren Meisters angemes-
sener war. Zog nemlich der polykletische gleichsam das Mittel der
menschlichen Erscheinung, so glaubte Lysippos sein menschliches Ideal
höher ansetzen zu müssen als im Durchschnitt der verschiedenen Wirk-
lichkeiten, indem er dieselben im Vergleich mit dem Urbilde "zunächst
als herabgekommen und verschrumpft betrachtete. Wenn cr mit Rück-
sicht darauf trotzdem sein Ideal aus der wirklichen Erscheinung ent-
wickelte, worauf ihn auch der von ihm über einen Lehrmeister um Rath
befragte Maler Eupompos von Sikyon durch Hinweisung auf das ver-