Plastik.
Kephisodotos und Skopas.
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schrieben, Welche mehr in das Gebiet der nächsten attischen Kunst-
epoche fallen.
Denn die treibende Kraft, welche dem Volke und der Kunst der
Hellenen in einer bis auf unsere Tage beispiellosen Weise innewohnte
und nicht ruhte, bis die Höhenptmkte nach allen Seiten hin erreicht und
dann der Fortschritt sogar bis zu Uebermaass und Verfall verfolgt war,
erlaubte keine andauernde bequeme Ausnutzung des Gewonnenen und
keinen Stillstand selbst bei der durch die genannten Meister errungenen
Vollendung. Etwas länger behauptete sich die polykletische Richtung
in der Peloponnes, wie überhaupt der dorische Stamm zu mehr Con-
servatismus hinneigte; in Attika dagegen kamen bald neue Elemente
zum Durchbruch, welche den Charakter der gesammten hellenischen
Plastik wesentlich umgestalten mussten. Den Uebergang zu dieser
Umgestaltung repräsentirt der so zu sagen auf der Schwelle stehende
Athener K ephisodotos der Aeltere, dessen kunstgeschichtliche Stel-
lung durch die glückliche Entdeckung der Copie seiner Eirene mit dem
Plutos in der Münchener Glyptothek durch Brunn gesichert ist. Das
Werk vereinigt die phidiasische Richtung bereits mit den Keimen der
neuattischen: nherrscht in den Formen noch die einfache Würde, Hoheit
und Grösse, der Ernst und die Strenge der früheren Periode vor, so
bricht dagegen im Ausdruck bereits die Richtung auf eine tiefere Auf-
fassung des Gefühls- und Seelenlebens hervora, und die Erfindung die-
ses Werkes stellt sich dadurch unfehlbar in die Mitte zwischen beide
Perioden.
Die Darstellung des Seelenlebens, nach Friederichs" Worten an der
Eirene des seelenvollen Austausches der Neigung von Mutter und Kind,
wie wir sie bei Kephisodot neben der sonstigen Strenge älterer Weise
Enden, gelangt jedoch zur vollen und die gesammte Formgebung be-
dingenden Herrschaft durch zwei Meister, deren Leistungen sich so ver-
wandt waren, dass man schon im Alterthum zweifelhaft war, ob das
eine oder andere berühmte Werk diesem oder jenem zuzuschreiben sei,
nemlich durch den Parier Skopas und den AthenerPraxiteles, wahr-
scheinlich den Sohn des ebengenannten Kephisodotos. Beide sind vor-
zugsweise Götterbildner, beide Marmorkünstler, das Letztere nicht zu-
fällig, sondern ohne Zweifel in Zusammenhang mit dem Gebiete ihrer
Schöpfungen, da Marmor, wo es sich nicht um Kolossaliverke hoch-
monumentalen Charakters, wie bei den chryselephantinen Statuen des
Zeus und der Parthenos des Phidias oder derHera des Polyklet handelte
für Tempelwerke ebenso angemessen erscheint, wie Bronze für Sie-
gerstatuen oder andere Werke aus dem menschlichen Kreise. Auch die