Plastik.
Polyklet.
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mischen Richtung auch selbst vielleicht zu sehr abhängig war, wie diess
aus Plinius, einen leisen Tadel enthaltenden Worten, seine Werke seien
nfaSt wie nach einem Modelle, hervorgehen dürfte. Wenn indess nach
des Künstlers wie nach allgemeiner Ueberzeugung der Doryphoros die
absolute menschliche Körperschönheit darstellte, so musste wohl der
Meister bei dem Modell verbleiben, das er höchstens in Stellungen
einigermassen variiren konnte, wenn er nicht seinem Streben nach voll-
kommener Schönheit, wie sie Cicero an allen seinen Werken rühmt,
untreu werden wollte. Wir dürfen uns also den sog. Apoxyomenos,
einen Athleten, der sich mit dem Schabeisen reinigt (vgl. dieselbe Dar-
stellung von Lysippos (Fig. 188) als eine ganz ähnliche Paradegestalt
vorstellen, wenn sie auch zunächst nicht den Schulzweck hatte, wie der
Doryphoros. Doch scheint ein drittes Werk, der zuweilen als ein Ge-
genstück des Doryphoros bezeichnete Diadumenos (ein sich die Stirn-
binde umlegender Jüngling), in minder athletischer F ormenentwicklung
hergestellt gewesen zu sein, wenn wir anders in den; Bezeichnungen
eines nmannhaften Knabena für den Doryphoros und eines nweichen
Jünglingsu für den Diadumenos einen Unterschied suchen dürfen.
Auch zum Zweck der Herstellung einer kräftig entwickelten Frauen-
gestalt in kanonischer Schönheit musste dem Künstler das Programm
einer ruhig stehenden Amazone vollkommen entsprechen. Es ist daher
ebenso begreiflich als glaublich, dass die Amazone Polyklefs in der
Concurrenz mit Phidias, Kresilas und Phradmon die Palme errang, was
ihm schwerlich gelungen wäre, wenn es sich um die Gestalt einer Göttin
oder um eine lebhaft bewegte Darstellung gehandelt hätte. Noch mehr
konnte der Künstler seine akademischen Ziele mit den zwei Kanephoren
(Korbträgerinnen) verfolgen, deren ruhige Stellung und Inhaltslosigkeit
so recht geeignet waren, die äussere formale Schönheit vollkommen
regelrecht zur Anschauung zu bringen. Und nach alledem dürfen wir
wohl auch die Bedeutung der Astragalizontes (der mit Knöcheln wür-
felnden Knaben) , des nach Plinius vollendetsten Kunstwerks Griechen-
lands, nicht etwa in der gespannten, frappanten Situation, oder in
der murilloartigen Naturwahrheit einer Gassenscene, sondern in der
vollendeten Knabenschönheit, in den Typen absoluter Formvollendung
auch für dieses Alter suchen.
Wenn Quintilian sagt, dass "Polyklet die Schönheit der mensch-
lichen Gestalt über alle in der Natur erscheinende hinaus gesteigert, im
Gegensatz zu Phidias aber die Majestät der Götter nicht erreicht habe,
so folgt schon daraus, dass die Arbeiten Polyklefs im Gebiete der
Göttcrdarstellungen Seinem Wesen nicht so vollkommen entsprachen.