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position einige Anschauung. Welch fesselnde Wahrheit in dem Schwung
der Scheibe, in dem sprungfertigen Vorniibergebeugtsein des athleti-
sehen jünglingskörpers, in Kopf und linkem Arm, welche dem Diskos
gleichsam den Weg vorauszeigen, in dem Einkrallen der Zehen des
einen und dem Nachschleifen des anderen Fusses, Alles so bezeichnend
für den Moment des Wurfes oder richtiger für den unmittelbar voraus-
gehenden Augenblick, wie wir es selbst jetzt noch an dem Gestus eines
geschickten Kegelspielers im Momente des Abschleuderns der Kugel
beobachten können. Und doch steht selbst die beste uns erhaltene Co-
pie, die jetzt im Palazzo Massimi alle Colonne befindliche (Fig. 17g),
dem Bronzeoriginale gewiss in jeder Beziehung weit nach.
Wahrscheinlich war es auch die lebendige Bewegung, welcher die
von zahlreichen Epigrammen, von denen selbst wir noch nicht weniger
als sechs und dreissig besitzen, gefeierte Kuh des Myron ihren Ruhm
verdankte. Denn die einheitlich und lückenlos durch das Ganze durch-
geführte und wie einem Moment entsprechende so auch auf ein Ziel ge-
richtete Bewegung verleiht allein den Ausdruck des Lebens, der an den
Werken des Meisters hervorgehoben wird und z. B. den Petronius ver-
anlasst, den Myron mit den Worten zu feiern, dass er bei Menschen-
und Thierdarstellungen deren Lebensodem in das Erz eingeschlossen
habe. Und wenn Plinius sagt, der Meister habe die Natur vervielfältigt,
so will er damit nichts Anderes bezeichnen, als er habe sie in seiner
Kunst so erreicht, dass sie gleichsam als zweite Natur betrachtet wer-
den konnte.
Alle die genannten Meister von Aegina, Athen, Sikyon, Argos,
Rhegion u. s. w. gehören der Grosszeit Griechenlands, der Periode der
Perserkriege 490-450 V. Chr. an, in welche Zeit wenigstens ihr spä-
teres Alter, wenn nicht auch wie wahrscheinlich bei Myron, der ein
Schüler des Ageladas war, deren Jugendblüthe fiel. Die unvergleichlich
grossartige und erfolgreiche Erhebung dieser Periode, welche einen so
herrlichen Aufschwung des gesammten hellenischen Lebens im Gefolge
hatte, musste auch in der Kunst wesentlich fördernd sein, und zwar
umsomehr, als die Verwüstung des Krieges wie die nachfolgende Be-
reichcrung der Sieger Gelegenheit und Mittel zu monumentaler Thätig-
keit in Fülle bot. Welchen Einfluss diess auf architektonische Thätig-
keit hatte, ist schon im vorausgehenden Abschnitte erörtert worden;
dass aber mit der Bauthätigkeit die bildnerische Hand in Hand ging,
versteht sich von selbst; denn die Prachttempel brauchten ihre Götter-
bilder, ihre Giebelfeldgruppen, Metopenreliefs und Friese, wie nament-
lich auch ihre Ausstattung an plastischen Weihegeschenken, zu welchen