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Hellas.
wie der oder die Meister des Westgiebels in der alten Schule so befan-
gen waren, bezeichnet worden sind.
In merkwürdigem Contraste mit der herrlichen und formell fast ta-
dellosen Behandlung der Körperformen in den verschiedensten Stellun-
gen und Bewegungen der Giebelßguren stehen aber zwei Dinge, welche
sehr bezeichnend sind für die Gränze des künstlerischen Könnens und
WVollens, nemlich sämmtliche Köpfe und die beiden Athenen. Die er-
steren nemlich sind ohne ideale Schönheit und ohne entsprechenden
Ausdruck, offenbar der Theil, welchem der Künstler sich noch am we-
nigsten gewachsen fühlte und den er daher bescheiden nach einer ge-
wissen Formel her-stellte, wobei das scheinbare Lächeln, durch die zu
stark aufwärts gezogenen Mund- und äusseren Augenwinkel hervorge-
bracht, gewiss als absichtslos "und lediglich aus dem älteren Styl über-
kommen zu betrachten ist. Auch sind die Augen noch zu vorgequollen
und das Kinn noch zu spitz und klein, Unschönheiten, in denen eben
frühere Traditionen noch nicht überwunden waren. Die Athene aber
zeigt, wie spröde das Cultbild sich gegen die Fortschritte der übrigen
Plastik verhielt, um den traditionellen Typus so wenig als möglich zu
alteriren. Hatte der Künstler bei den übrigen Figuren lebende Modelle
vor Augen, so schwebte ihm hiefür das Tempelbild vor, vielleicht so,
wie es der äginetische Tempel selbst enthielt. Dadurch erklärt sich die
gegen die übrige Gruppe so empfindlich contrastirende steife Haltung
und strenge Gewandung der Athene jedenfalls natürlicher, als durch
die Annahme, dass nach der Auffassung des Künstlers die Göttin keiner
wirklichen Action bedarf, um ihren Zweck zu erreichen und dass eine
leise Hebung des Schildes als ein göttliches vBis hieher und nicht wei-
tem für ihre übermenschliche Macht genügte, um den Gefallenen zu
schützen. Die ungeschickte Verdrehung der Beine aber, welche wohl
weniger auf Raumbeschränkting wie auf dem Anlehnen an ein alter-
thümlicheres Cultbild beruht, war von dem Künstler um so getroster
zu wagen, als sie von unten Niemand gewahren konnte. Dass aber die
Meister in liebevoller Hingabe an ihre Aufgabe sonst minder, als wir
gewohnt sind, auf den letzteren Umstand sündigten, erhellt daraus,
dass die Körper durehgehends auch auf der Rückseite, welche doch seit
der Aufstellung bis zur Wiederaufiindung und Aufnahme in einem Mu-
seum nicht gesehen werden konnte, fast ebenso vollständig wie auf
der Vorderseite ausgeführt und durchgebildet sind. Der Eindruck des
Ganzen endlich wird noch wesentlich beeinüusst durch die Einfügung
von Bronzetheilen, wie Lanzen, Wehrgehänge mit Schwertern, Bogen,
Pfeile, Gorgoneion und Schlangen an der Aegis der Athene u. s. w.,