Plastik.
Erhaltene Mannorsculpturen aus dem 6.
Jahn-h.
Chr.
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nert, aber in den dem Relief sich weniger fügenden Armen minder ge-
lungen, dafür sonst und besonders im Kopfe glücklicher ist. Ferner in
dem attischen Relief einer wagenbesteigenden Frau, welches, trotz hoch-
alterthümlicher Herbheit der Formen, namentlich in der Gewanddrapi-
rung, in dem Vorbeugen des Kopfes und in der Haltung der Arme ne-
ben grösserer Sicherheit in der Zeichnung auch schon einen Anflug von
Grazie zeigt, der wohl nicht ganz auf Rechnung des Uebergewichts at-
tischen F ormgefühls über das der Dorer und kleinasiatischen Ionier,
sondern auch auf die einer weiter vorgeschrittenen Entwicklung zu
setzen ist. Mit diesem ist dann das sog. Leukothearelief der Villa Albani
zusammenzustellen, welches demselben zwar in der Composition nach-
steht, aber es an Grazie namentlich in der Haltung und Bildung der
Köpfe vielleicht übertrifft. Die Ueberbringung eines Kindes an eine auf
einem Thronsessel sitzende Göttin (verstorbene Mutter des Kindes F),
welche den Gegenstand dieses Reliefs unbekannter Herkunft bildet, for-
dert jedoch den Vergleich mit dem berühmten Relief des sog. Har-
pyienmonumentes von Xanthos im brit. Museum, Welches in analoger
Weise die Ueberbringung von Kindern oder Seelen durch Harpyien an
Unterweltsgottheiten darstellt. Doch erscheint dieses, wie Brunn neue-
stens gezeigt hat, durch mehr Fülle und Weichheit wie durch mehr
Unklarheit und Unverständniss in der ganzen Behandlung, jenem vor-
ausgehend und der Zeit nach etwa zwischen die milesischen Kolosse
und die ebenbehandelten attischen Reliefs, mithin in die Jahrzehnte um
500 v. Chr. gehörig zu sein.
In dieser Zeit aber bahnt sich auch an verschiedenen andern Punk-
ten ein bemerkenswerther Fortschritt an. Verrathen die älteren seli-
nuntischen Metopen, die sitzenden Kolosse von lVlilet, wie die Reliefs von
Assos und selbst zum Theil die angeblichen Apollostatuen von Thera,
Tenea, Orchomenos noch eine gewisse Unsicherheit und Laxheit der
Formen wie des Ganzen, wie den jeder Periode des Tastens und Ver-
suchens eigenen Mangel fester Principien und eines Systems, der kano-
nischen Feststellung des Mustergültigen, Welche freilich nicht die scha-
blonenhafte Verknöcherung des fehlerhaft Ueblichen und die Manierirtheit
wie in Aegypten und Assyrien? im Gefolge haben, sondern in der Zu-
sammenfassung der Einzelbeobachtung, in der gesetzmässigen Verbin-
dung der realen Details bestehen musste, so erwacht jetzt das ernste
Bestreben, diesem Zustand des Schwankens durch Zucht und Schulung
ein Ende zu machen. Mit diesem Bestreben war auch keineswegs auf
typische Erstarrung hingearbeitet, welche die fortgesetzte Läuterung
durch Naturstudium verwirft, sondern vielmehr der Blick weiter geöffnet