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Hellas.
fast gar nicht oder nur ganz allgemein über die des Styls dieser Periode
belehren, wenn wir nicht Gelegenheit hätten, die schriftlichen Nach-
richten auch mit einigen alterthümlichen Monumenten zu vergleichen,
welche von einem glücklichen Geschicke uns erhalten und in neuerer
Zeit in erfreulicher Mehrung begriffen sind. Doch kommt bei Be-
trachtung dieser noch ein Umstand in Rechnung, welcher zu wenig be-
tont zu werden pflegt, nemlich die locale Verschiedenheit. Denn nicht
blos das eigentliche (europäische) Griechenland, sondern auch die
Hellenencolonien im Osten (Kleinasien) und Westen (Sicilienj liefern
Beispiele hochalterthümlicher Steinplastik, und die beiden letzteren
scheinen etwas andere Wege gegangen zu sein, wie das eigentliche
Hellas. Die Nachrichten aber beziehen sich fast ausschliesslich auf das
engere Griechenland mit den Inseln, so dass eigentlich nur Denkmäler
aus diesem Gebiete mit denselben verglichen werden können.
Wir betrachten jedoch einige auswärtige Monumente voiweg und
zunächst sicilische, nemlich die Metopenreliefs vom Mitteltempel der
Akropolis von Selinus, als die ältest datirbaren unter dem erhaltenen
Vorrath. Selinus nemlich wurde um 628 v. Chr. gegründet. Wenn nun
auch der Mitteltempel nach Semper und Krell nicht der älteste und
somit in den ersten Jahren nach der Gründung gebaute zu sein scheint,
so folgte er jedenfalls frühzeitig seinen Vorgängern,'so dass wir seine
Entstehungszeit in die erste Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. setzen
dürfen. Unter zahlreichen Fragmenten des Metopenbildwerks haben
sich zwei Tafeln (jetzt in Palermo) so viel wie unversehrt erhalten, un-
schätzbar durch die Deutlichkeit, mit welcher das künstlerische Ver-
mögen dieser Zeit mit allen noch anhaftenden Schwächen in ihnen sich
ausspricht. Es wäre freilich falsch, darin eine Probe des Styls von
Gesammtgriechenland zu sehen; denn jedenfalls spielen die sicilisch-
dorischen Eigenthümlichkeiten daran eine hervorragende Rolle. Es ist
ein frischer und gesunder Naturalismus, der uns hier entgegentritt, eine
sorgfältige Naturbeachtung, soweit das künstlerische Verständniss eben
reichte. Und diess reichte nicht über die äusseren Glieder hinaus; denn
während Arme und Beine, Hände und F üsse relativ vortrefflich sind,
ist nicht ein Gleiches vom Rumpf und von den Köpfen zu sagen, welche
hässlich plump, unproportionirt und grob verzeichnet sind. Der Con-
trast ist besonders stark an dem einen der beiden Reliefs, welches He-
rakles, zwei gebundene Kerkopenkobolde an seinem Bogen denn dafür
ist die Tragstange zu halten tragend darstellt und durch das gelun-
genere Detail der Beine des Helden überhaupt einen geschickteren
Künstler verräth, als das andere, Während an diesem (Fig. 175), Perseus