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Hellas.
an die Stelle der Säulen in den Peristylen oder die Sphinxalleen an die
von Portiken treten, während auch die Paare von sitzenden Kolossen
neben Obeliskenpaaren mehr den Charakter von architektonischen
Denkmälern verrathen. Die feste Norm, nach welcher die Köpfe in
fertiger Schablone mehr wie die Capitäle von Säulen, denn als Nach-
bildungen nach der Mannigfaltigkeit des Lebens, die Glieder ohne
Rücksicht auf Function lediglich nach bestimmten Höhen- und Breiten-
verhältnissen wie der Säulenschaft nach dem Verhältniss des untern
Durchmessers zur Höhe hergestellt wurden, benahm auch bei den ko-
lossalsten Dimensionen den Eindruck der Selbständigkeit und liess
auch ein Riesenwerk nur als den Theil eines architektonischen Ganzen
erscheinen. Dazu hatte diese Plastik nur über zwei festbestimmte Stel-
lungen zu gebieten und verzichtete sonach grundsätzlich auf die tausend-
erlei Verschiedenheiten der Erscheinung des Lebens und damit selbst-
verständlich auf jede Darstellung einer Action. Die älteste hellenische
Plastik dagegen ging von einem gesunden Naturalismus aus, welcher
des Künstlers Auge in erster Linie der realen Erscheinung des Indivi-
duums und zwar zunächst der Einzelnheiten an demselben zuwandte
selbst mit Vernachlässigung der Proportionen des Ganzen. Ein Blick
auf die älteren selinuntischen Metopen zeigt das ernste und erfolgreiche
Bestreben der Hellenen in der ersteren Hinsicht, verbunden mit all den
groben Fehlern, welche aus der erwähnten Lässigkeit im proportionalen
Zusammenfassen des Ganzen entstanden. Schon hier fehlt genau das,
was den Aegyptern vollkommen geläufig war, nemlich das correcte
oder wenigstens sichere Schema, während das in der erfreulichsten
Weise entgegentritt, was der ägyptischen Sculptur fehlt, nemlich die
liebevolle Nachbildung nach dem Leben im Detail. Dieser naturalisti-
sche, individuelle Zug machte es unmöglich, dass die hellenische Plastik
jenem architektonischen Schablonismus verfiel, der die ägyptische cha-
rakterisirt: nicht ein starres Schema, sondern das organische Leben
beobachtend, zunächst nicht das Allgemeine, sondern das Einzelne
cultivirend hielt sich auch der griechische Künstler frei von jenem ver-
knöcherten Typus, an welchem die Plastik aller Culturvölker des Orients
im Alterthume krankte. Dadurch war ihr auch das verliehen, woran
es allen andern Völkern jener Periode gebrach, nemlich die Entwick-
lungsfähigkeit.
Zu diesen principiellen Verschiedenheiten kommen noch die der
Formen, welche sowohl die Ragen- wie auch die Auffassungsunter-
schiede der hellenischen und ägyptischen Kunst klar erkennen lassen.
Diess zeigt sich zunächst in den Köpfen, welche sich an ägyptischen