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Hellas.
Kanephoren genannt hat. Woher aber deren Name Karyatiden stammt,
dürfte schwer zu sagen sein, jedenfalls nicht von dem Anlass, den V i-
truv berichtet, als hätten die aus dem zerstörten peloponnesischen
Karya in die Sklaverei abgefühiten Frauen das Motiv geliefert, wofür
sowohl der geographische wie der geschichtliche Beleg fehlt. Aus dem
Körbe der Kanephoren hat sich ein echinusartiges Capitälglied mit Eier-
stab und Astragal sammt Abakus entwickelt. Im Gebälke aber fehlt in
richtiger Würdigung des Umstandes, dass die flache Decke nur zwei
Gebälkglieder voraussetzt, der Fries; dafür tritt im Kranzgesimse hier
ausnahmsweise der Zahnschnitt auf , der sich nun auch an gehöriger
Stelle befindet. Dieselbe tadellose Schönheit, wie wir sie an allen Or-
namenten finden, zeigt sich auch und zwar in grossem Reichthum an
den Resten der Thürgewandungen.
Sind Monurnentalbauten des ionischen Styls schon in Attika ver-
hältnissmässig spärlich, so ist diess natürlich in erhöhtem Maasse der
Fall, je mehr sich gegen Westen überhaupt die ionischen Elemente in
der dorischen Bevölkerung verloren, Wo wir jedoch Ionisches finden,
stammt es zumeist aus attischer Schule, deren Einfluss wir auch an der
römisch-ionischen Ordnung nicht verkennen können. Dass in Italien,
nachdem die Römer überhaupt das beiderseitige Hellas kannten und
besassen, das Ionische wieder häufiger wird, liegt in der eklektischen
Allseitigkeit der weltbeherrschenden Roma. Wie sich jedoch diese Uni-
versalerbin die leichte und brauchbare Schablone daraus Zuschnitt, wer-
den wir später zu betrachten haben.
Dem ionischen Styl ward in pCl'il{l6lSCl1Cl' Zeit eine fremde und
eigenthümliche Zierblume aufgepfropft, welche dadurch den Charakter
des Ganzen wesentlich veränderte, dass sie sich an der charakteristi-
schesten Stelle entfaltete, nemlich am Capitäl. So lange wir von rein
griechischer Architektur sprechen, darf diese sogenannte vkorinthi-
SChEu Neuerung, die sich eben nur im Capitäl bemerklich macht, nicht
einmal als Säulenordnung, geschweige denn als Styl den beiden helle-
nischen Stylen, dem dorischen und dem ionischen, gegenübergestellt
werden, und muss lediglich als Varietät sich dem Ionischen anschliessen.
welches auch zunächst in allem Uebrigen unverändert verbleibt. Das
neue Capitäl wird als eine Erfindung des Kallimachos, der allerdings in
der Prachtlampe des Erechtheions ein tektonisches Analogon geschaffen.
bezeichnet, was wohl in so ferne seine Richtigkeit haben kann, als der
Künstler gerade in tektonischen Prunksachen hervorragte und so auch
dem neuen Versuch eine gewisse Autorität verliehen haben mochte:
kaum aber hinsichtlich der von Vitruv erzählten Erfindungsgeschichte,