Architektur.
Der ionische Styl.
Base und Capitäl.
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'musste daher aufgegeben und ein breiter Steg, der die Cylinderform des
Schaftes darstellte, an deren Stelle gesetzt werden. In Bezug auf Wech-
sel von Licht und Schatten und auf Belebtheit des, Schaftkörpers wurde
damit wesentlich gewonnen, dafür aber der ursprüngliche Entstehungs-
gedanke der Canellur aus dem polygonen Pfeiler ganz aufgeopfert, in-
dem jetzt durch die Stege die Cylinderform als ursprünglich ausgespro-
chen war. Sehr erschwert ward endlich die Herstellung des Schaftes
durch An- und Ablauf, nemlich durch die hohlkehlenartigen Ausladun-
gen am Anfang und Ende des Schaftes, welche aus der Verbindung von
plättchenartigen Zwischengliedern mit dem Schaftkörper entstanden und
allerdings dem Rhythmus des Säulenproüls sehr förderlich waren, indem
nun vom Boden auf Hohlkehle, Rundstab und wieder Hohlkehle folgte
und dem Rundstabprofil des unteren Capitälgliedes ebenfalls eine Hohl-
kehle vorausging. Die Canelluren aber fanden ihrem Profil sehr ent-
sprechend unten und oben vor der Ausladung des An- und Ablaufs
einen halbkreisförmigen Abschluss.
Das Capital endlich bestand zunächst aus dem von der dorischen
Säule entlehnten Echinus, an welchem jedoch das dort manchmal auf-
gemalte Blattornament des sog. lesbischen Kyma bereits sculpirt auf-
tritt und eine Perlenschnur (Astragal; an der Stelle der Anuli (Ringe)
am Eehinusansatze erscheint. Dieses Capitälglied wird von einem ZWCl-
ten grösstenth-eils überwuchert, welches dem ganzen Styl sein auffällig-
Stes Charakteristicum liefert, nemlich von dem Spiralenpolster. Seit
dieser an assyrischen Reliefs als Capitäl gefunden ward, sind alle alten
Erklärungen, wie die VitruvÄs, nach welcher sie die Locken der in ihrer
weiblichen Schlankheit, reichen Gewandtlrapirung (Canellurenji und Be-
schuhung (Base, als Frau gedachten ionischen Säule, oder die aus dem
Motive von spiralischen Muscheln oder von Widderhörnern, welche ur-
sprünglich als "fempelschmuclt gedient haben sollten, ja selbst die von
einem elastischen Polster, welcher durch die daraufgesetzte Last beider-
seits herausquellen, durch eine gewisse innewohnende Kraft aber seine
Enden wieder spiralisch aufrollen sollte, gefallen, und wir müssen in dem
Volutenglied das vom Osten her importirte Capitäl erkennen, das frei-
lich in barbarischen Händen sich nicht vom blossen Ornament, das
ebenso senkrecht an Mobilienbeinen (vgl. Fig. 75) oder an persischen
Säulen (vgl. Fig. 74) angewandt werden konnte, zum bedeutungsvollen
und sein Wesen erfüllenden Architekturgliede gestaltet hatte. Denn
dadurch, dass man in Assyrien das Volutexiglied verdoppelte, leistete
es noch keineswegs seinen Dienst als ausladende Vermittlung zwischen
verticaler Stütze und horizontaler Last. Der Grieche erkannte, dass ein
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