Albrecht Dürer.
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war es ihm innerliches Bedürfnis, sich in die Poesie dieses oder
jenes unscheinbaren Fleckchens Natur zu vertiefen, und, wenn er
auch sorgfältig die Einzelheiten wiederzugeben strebt, so merkt
man doch, dafs nicht ängstliche Gewissenhaftigkeit, sondern intimes
Verständnis für die Bedeutung des Einzelnen im Gesamtbild ihn
dabei leitet. Freilich, wenn wir sehen, wie er dieselbe liebevolle
Ausführung den Dachschindeln, wie den Baumkronen angedeihen
läfst, könnte man glauben, dafs ihm der Sinn für den specitlsch
landschaftlichen Charakter solch eines Naturausschnittes noch
mangele. Gebäude dürfen nicht in
Menschenwerk erst macht die Natur
dem Landschaftsbilde fehlen;
darstellenswert. Dieser ästhe-
tische Grundsatz, der noch lange Zeit dogmatische Geltung für
den Landschafter behielt, hatte aber von den älteren Künstlern eine
ganz andere Deutung erfahren. Monumentale, oft phantastische
Bauanlagen schienen den älteren Niederländern allein würdig, der
landschaftlichen Komposition als selbständige Glieder eingefügt zu
werden. Dürer dagegen ist für die Reize einer Scheune, eines
Stalles oder einer Mühle nicht unempfzinglich, und der abblätternde
Kalkbewurf einer Hütte ist der gleich liebevollen Ausführung sicher,
wie die zinnengekrönten Mauern einer feudalen BurgI). Es be-
zeichnet dies eine Wandlung der künstlerischen Auffassung, deren
volle Konsequenzen erst die späteren Landschafter ziehen sollten.
Die Trennung zwischen heroischer und idyllischer Landschaft, wie
sie dann unter italienischem EinHusse sich herausbildet, scheint bei
Dürer gewissermafsen schon im Keime vorgebildet. Seiner jugend-
lich heitern Naturauffassung lag natürlich eine bewufste Scheidung
beider Elemente noch fern, auch fehlen ihm für die eigentliche
I) Dass Dürer auch seinen Figurenkompositionen solche idyllische Umgebung
zu geben sich nicht scheute, dafür sei hier vorgreifend nur der Kupferstich B. 28
vder verlorene Sohne angeführt, dessen Hintergrund den Charakter einer Vedute
trägt: Ein Hof, den verfallene Stallgebätide umgeben; rechts blickt ein Kirchengiebel
über die Dächer. Aus den Mauerrissen der verfallenen Wirtschaftsgebäude schiesst
Gestrüpp empOf. Das Ganze trägt einen mehr städtischen Charakter, und die Stille
und Abgeschlossenheit innerhalb einer vom alltäglichen Leben bewegten Umgebung
pafst trefflich zu dem Gebet des verlorenen Sohnes. Schon Vasari hebt den Hinter-
grund hervor: Ded in questa (so. carta) sono capanne ad uso di ville tedesche,
bellissimeß Ed. Lemonnier IX, p. 261.