Gotischer
Stil.
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grunde sind durch gelbe Strichelchen und Krautbüschel belebt, die
einheitlich geschlossene Baumkrone mit gelben Lichtern modelliert;
die Felsen des Mittelgrundes zeigen die dem französischen Stil eigen-
tümliche Form, die schräge aufstrebt und auch durch schräge Kan-
ten und Spalten gegliedert ist, auf den von der Umgebung unter-
schiedenen Äckern und Feldern des Hindergrundes sehen wir Wind-
mühlen, Galgen und Staffage, darüber steigt der durch Silberschraf-
fierung abgetönte blaue Horizont empor. Auch in einer bible
moralisee vom Ende des XIV. Jahrhunderts I) gewahren wir in der
Modellierung der Baumkronen, sowie in der Tönung des Himmels
und der versuchten einheitlichen Lichtführung sehr deutlich das
Bestreben, der natürlichen Erscheinungswelt koloristisch gerecht
zu werden, freilich auf Kosten der Perspektive, die noch so gut
wie ganz fehlt.
Also auch in dieser Epoche sind die Versuche noch vereinzelt
und von sehr verschiedenartigem Erfolge begleitet. Vielfach wird
diese Verschiedenheit von äufseren Bedingungen bestimmt; so Wer-
den die für den fürstlichen Gebrauch bestimmten Bücherz) sicher-
lich bedeutenderen Illuminatoren anvertraut sein, als die Hand-
Schriften, die für Klöster und Private angefertigt wurden, und es
wäre unbillig, die Leistungen der einen oder der andern Art zum
ausschliefslichen Mafsstab für die Beurteilung der Buchmalerei des
XIV. und XV. Jahrhunderts zu nehmen.
Wir heben deshalb neben den Durchschnittsleistungen auch
einige Beispiele der burgundischen und französischen Hofkunst her-
aus, welche gewissermaßen die Spitzen der Entwicklung vertreten.
Das Buch mit den Reisebeschreibungen Marco Polos, Guillaume
de Mandevilles und Haytons, welches in der zweiten Hälfte des
XIV. Jahrhunderts, wahrscheinlich für Philipp den Kühnen von Bur-
gund (1363- 1404) illuminiert wurde, zeigt bereits eine sauber
ausgeführte Landschaft. Nach der Reproduktion bei Humphreysß)
I) Universitätsbibliothek zu Gent. Katalog von St. Genois Nr. 426.
2) Seit dem XIV. Jahrhundert begann der Sammeleifer der Fürsten und vor-
nehmen Herren sich auf Luxushandschriften zu richten. cf. YVattenbach, Schrift-
wes. i. M. A. p. 311 und 502. (2. Aufl.)
3) the illuminated books of the middle ages. London 1849.