Volltext: Die Landschaft in der deutschen Kunst bis zum Tode Albrecht Dürers

Gotischer 
Stil. 
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musl), und der unter Ludwig IX. (1226-1276) aufkommende go- 
tische Miniaturstil hatte bereits die naturalistische Bildung der 
Baumformen angebahnt und auch der romanischen Terrainstilisie- 
rung ein Ende gemacht,  kurz: eine Befreiung aus den Fesseln der 
strengen F ormgebung läfst sich bereits frühe in französischen Lan- 
den wahrnehmen, und die französischen Miniaturen aus der ersten 
Hälfte des XIV. Jahrhunderts geben die besten Proben dieses auf- 
keimenden Naturalismus, der sich freilich zunächst nur auf Ein- 
zelheiten bezieht. In einer Genealogie de la Ste. Viergez) (1323 
vollendet) wird die Baumkrone bereits in zwei Teile gegliedert und 
vom braunen Stamm durch grüne Färbung unterschieden. Inner- 
halb der Konturen der Krone wird der Blattschmuck zierlich aus- 
geführt, und Eichenlaub von Buchenlaub unterschieden. Die Gräser 
des aus der Schollenbildung wieder zu einer festen Masse verdich- 
teten Terrains werden ebenfalls deutlich erkennbar wiedergegeben. 
Die Gesamtkomposition hat allerdings noch keine Tiefe, vielmehr 
spannt sich hinter den in die Vordergrundsfiäche gerückten Fels- 
und Erdmassen der für die französische Kunst dieser Zeit typische 
Schachbrettgrund auf. Der Sinn für Gröfsenverhältnisse kann sich 
bei dem eifrigen Streben, im einzelnen möglichst genau zu sein, 
nicht entwickeln: die Ähren sind so grofs, wie die Baume, deren 
Kronen wiederum oft kleiner sind, als die darauf sitzenden Vögel, 
und der beim Einzuge Christi auf den Baum kletternde Zachäus ist 
den Mafsen des Baumes angepafst, halb so grofs gebildet als die 
anderen Personen der Scene. 
Neben dieser Genealogie sei noch ein Leben des h. Dionysius 
in Paris (Ms. lat. 7953-55) aus der Zeit Philipps V. (1317-1322) 
erwähnt, von dem Waagen3) berichtet: wBäume in der Form eines 
I) Originell ist auf einer Miniatur der Pariser Minnesängerhds. (XIII. Jhdt.) 
ein Pferd dargestellt, welches, getäuscht durch die naturalistische Bildung des Kapi- 
tälschmuckes, diesen für Pferdefutter ansieht und darauf losbeifst: gewissermaßen 
eine Satire gegen die neuerungssüchtigen Steinmetzen der Zeit. 
z) Berlin, Kupferstichkab. Hamiltonsamml. Inv. Nr. 77, Verzeichnis der Ms. von 
Seidlitz (Repert. f. Kw. VI ff.) Nr. 24. 
3) K. u. Kwe. in Paris p. 304. 
Kaemmerer, Die Landschaft in der deutschen Kunst. 3
	        
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