Kunst.
Karolingische
Zu solchen AllegoriedarstellungenI) benutzte man die Formen
der Natur, die man da, wo sie am Platze waren, wiederum durch
allegorisierende Personifikationen ersetzte. Diese Umkehrung des
natürlichen Verhältnisses hilft uns auch die naturwidrige Stilisierung
der Naturformen in späterer Zeit verstehen.
Der lehrhafte Charakter der Kunst in der karolingischen
Epoche ist indes nur eine besondere Erscheinungsform jener durch
das ganze Mittelalter verbreiteten Auffassung, dafs die Malerei
durchaus nur als Bilderschrift zu betrachten und zu benutzen sei,
einer Auffassung, welche bereits in der griechischen Kirchenlitteratur
des IV. Jahrhunderts auftrittz) und im VII. Jahrhundert in Gregor
dem Grofsen ihren klassischen Vertreter findet. Der Umstand, dais
der letztere Kirchenvater fast stets als ältester Gewährsmann zitiert
wird, darf uns daher nicht verleiten, zu glauben, dafs diese Auf-
fassung erst im VII. Jahrhundert entstanden sei. Sie ist vielmehr
die eigentlich christliche und eine theoretische Begründung der alt-
christlichen Bilderschrift. Charakter und Zweck der Malerei werden
darnach in Gregors oft zitierten Worten ausgedrückt: wQuod legen-
tibus scriptura, hoc idiotis praestat pictura cernentibusx (Ep. lib. IX,
ep. 9) und Ep. lib. VII, ep. 3: xIdcirco pictura in ecclesiis ad-
hibetur, ut hi, qui litteras nesciunt, saltem in parietibus videndo
legant, quae legere in codicibus non Valentxc Damit ist e i n
für allemal ausgesprochen, dafs der künstlerische
Selbstzweck in der christlichen Kunstdarstellung des
Mittelalters zurücktritt und Elemente, welche nur
diesem Zwecke dienen; wie die landschaftliche Er-
weiterung und Ausschmückung der Scenen, keinen
Platz in der Bilderschrift finden, da diese das Ziel der
Deutlichkeit am besten durch konventionelle Typen
und Abbreviatur alles Überflüssigen erreicht.
Indes, mochte man im allgemeinen und offiziell sich zh dieser
1) Ein erhaltenes Beispiel der Art findet sich in dem genter Exemplar des
Liber fioridus aus dem Anf. d. XIII. jhdts, WO ein Baum der Wissenschaften sowie
ein solcher der Tugenden und Laster abgebildet ist.
2) Basilii See. Opp. ed. Garn. II, p. 149. Auch der Verfasser der libri Ca-
rolini, der Gregor zitiert, setzt hinzu, dass die vinstructio nesCientiumcc von altersher
(antiquitus) der eigentliche Zweck der Malerei gewesen sei.