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bis
Jahrh.
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diesem grossen Volke die Vorurtheile aus, dass Ansichten, welche
die theologischen Traditionen gänzlich -über den Haufen warfen,
und dem ganzen System der geistlichen Macht den Untergang be-
reiteten; von Descartes straflos behauptet und von Richelieu zur
Ausführung gebracht wurden. Es war jetzt deutlich zu sehen, dass
die zwei vorgerücktesten Männer ihrer Zeit mit wenig oder gar
keiner Gefahr öffentlich Ideen verbreiten konnten, welche vor einem
halben Jahrhundert selbst dem obscursten Manne gefährlich erschie-
nen waren, wenn er sie auch nur in der Einsamkeit seines eignen
Zimmers zu äussern gewagt hatte.
Die Ursachen dieser Straflosigkeit sind leicht zu verstehen.
Sie sind in der Verbreitung des skeptischen Geistes zu suchen, der
sowohl in Frankreich als in England der Duldung voraufging. Ich
will hier nicht auf Einzelheiten eingehen, welche für die Grenzen
dieser Einleitung zu weit führen würden, es genüge zu bemerken,
dass die Französische Literatur sich in dieser Zeit im Ganzen
durch eine Freiheit und Kühnheit der Untersuchung auszeichnete,
Wovon, England allein ausgenommen, damals noch kein Beispiel
in Europa gesehen worden war. Der Generation, Welche den
Lehren Montaignes und Charron's ihr Ohr geliehen hatte, folgte
jetzt eine zweite Generation, von Schülern dieser grossen Männer,
aber von Schülern, die iln-e Lehrer Weit hinter sich liessen. Die
Folge war, dass während der 30 oder 40 Jahre vor der Zeit, wo
Ludwig XIV. zur Gewalt kam, 245) nicht ein einziger Franzose von
Auszeichnung zu finden war, der nicht den allgemeinen Geist
theilte, kein einziger, der nicht ein altes Dogma angriff, oder den
Grund irgend einer alten Meinung unterwühlte. Dieser kühne Geist
zeichnete die bedeutendsten Schriftsteller jener" Zeit aus; 24") noch
merkwürdiger aber ist es, dass die Bewegung sich mit so reissen-
der Schnelligkeit verbreitete, dass sie selbst diejenigen Theile der
Gesellschaft, welche gewöhnlich erst zuletzt von ihr ergriffen wer-
den, in ihrem Laufe mitnahm. Der Geist des Zweifels, der noth-
m) n. h. im 1m 1661, wo Ludwig XIV. zuerst die Regierung in die Hand
nahm.
w?) Barzmte, Tableem de la litäratzere fmngaise, 26, indefpeaz-
dzmce dans las idäes, ce jugement audaciem: du foutes choses! qu'on remarque dans
Oowwille, dans Meäzäray, alans Balzac, dauns
Man konnte noch Naudö, Patin und" wohl "auch" Gassendi Whinzufügenl Vergl. Hallmrfs
Lit. Qf Europe II, 364, 365 mit Mackintäsh, Elhical philosI H6 und Lettres de Patin
i, 29T, 11, 33, 186, 191, 242, 342; 490, 508, III, 87-
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