82
des
Geschichte
Franz.
Geistes
das War der Letztere für die Politik. Aber während wir die Ver-
dienste dieser ausgezeichneten Männer anerkennen, müssen wir
uns doch erinnern, dass ihr Erfolg nicht nur das Ergebniss ihrer
eignen Talente, sondern eben so sehr des ganzen Geistes ihrer
Zeit war. Der Charakter ihrer Werke hing von ihnen selbst ab;
die Art und Weise, wie diese aufgenommen wurden, hing von ihren
Zeitgenossen ab. Wäre ihr Zeitalter abergläubischer gewesen, so
würde man ihre Ansichten verachtet, oder wenn ja beachtet {sie
als gottlose Neuerungen verschrien haben. Im 15. oder im Anfang
des '16. Jahrhunderts wurde es dem Genie von Descartes und Riche-
lieu an dem nöthigen Stoff zu seiner _Wirksamkeit gefehlt haben;
ihre weitsehenden Geister würden in dem Zustande der Gesellschaft
keinen Spielraum gefunden, keine Theilnahme erweckt haben; ihr
Brod würde auf das Wasser geworfen worden sein, welches es
nicht zurückgiebt. Und sie hätten sich glücklich schätzen können,
wenn in einem solchen Falle Gleichgültigkeit die einzige Strafe
gewesen wäre, mit der man sie heimgesucht hätte. Glücklich
wären sie gewesen, wenn sie nicht in die Busse gefallen wären,
welche viele von den berühmten Denkern gezahlt haben, die es
vergebens versuchten, den Strom menschlicher Leichtglätubiglaeit
aufzuhalten. Glücklich wären sie gewesen, wenn die Kirche sich
nicht in ihrem Zorn erhoben hätte, wenn Richelieu nicht als
Verräther hingerichtet, und Descartes nicht als Ketzer verbrannt
worden wäre.
In der That, die blosse Thatsache, dass zwei solche Männer,
die auf einen so hervorragenden Platz dem Publikum vor Augen
gestellt waren, und Ansichten durchsetzten, die so sehr gegen die
Interessen des Aberglaubens" stritten, ohne ernstliche Gefahr leben,
und dann" friedlich in ihren Betten sterben konntenfii") die blosse
Thatsachc, dass dies möglich war, ist ein entschiedener Beweis
des Fortschritts, den die Französische Nation während der letzten
fünfzig Jahre gemacht hatte. Mit solcher Schnelligkeit starben in
2447)) Descartes starb in Schweden auf einer Besuchsreise zur Königin Christina; so
dass genau genommen ein Irrthum im Text ist. Aber dies trifft unsere Erörterung
nicht. Descartes Werke wurden in Frankreich eifrig gelesen und nicht verboten, und
so mögen wird voraussetzen, er würde auch persönlich in seinem Vaterlande sicher ge-
Wesen sein, wäre er dort geblieben, Einen Ketzer "zu verbrennen ist ein entschiede-
nerer Schritt als sein Buch zu verbieten; und da. der Französische? Klerus nicht stark
genug War, das Letztere zu erreichen, so ist es kaum wahrscheinlich, dass er das
Erstere hätte durchsetzen können.