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des Franz.
Geschichte
Geistes
Dies wäre vielleicht hinreichend gewesen, um selbst die natur-
wissenschaftlichen Arbeiten von Descartes gegen die Angriffe zu
vertheidigen, die fortdauernd auf sie gemacht werden, von Leuten,
die entweder seine Werke nicht studirt haben, oder, wenn sie dies
gethan, ihre Verdienste zu würdigen nicht im Stande waren. Aber
Descartes Ruhm, und der Einfluss, den er auf sein Zeitalter aus-
übte, hängen nicht einmal von diesen Ansprüchen ab. Er ist
ausserdem der Urheber der modernen Philosophie im nachdrück-
lichsten Sinne des Wortsw) Er ist der Urheber des grossen
Systems und der Methode einer Metaphysik, die ungeachtet ihrer
Irrthümer das unzweifelhafte Verdienst hat, dem Europäischen Geiste
einen wundervollen Anstoss gegeben und ihm eine Thatigkeit mit-
getheilt zu haben, welche auch für Zwecke anderer Art. benutzt
worden ist. Ausserdem sind wir dem Andenken Descartes einen
noch grösseren Dank für etwas Anderes schuldig. Die Nachwelt
ist ihm nicht so sehr für das, was er aufgebaut, als für das was er
niedergerissen, verpflichtet. Sein ganzes Leben war ein einziger gros-
ser und glücklicher Feldzug gegen die Vorurtheile und Üeberlieferun-
gen derwMenschen. Er war gross als Schöpfer, aber-bei Weitem grösser
als Zerstörer. Hierin war er der treue Nachfolger Luthers, zu dessen
Arbeiten die seinigen die geeignete Ergänzung bildeten. Er vollendete,
was der grosse deutsche Reformator unvollendet gelassen hatte. m)
Er hatte zu den alten philosophischen Systemen genau das nämliche
Verhaltniss, wie Luther zu den Religionssystemen, er war der grosse
Reformator und Befreier des Europäischen Denkens. Also selbst
die glücklichsten Entdecker physischer Gesetze diesem grossen
Neuerer und Zerstörer alter Ueberlieferung vorzuziehen, ist gerade,
244) Cousin, Hist. de la Philos. II, Serie I, 39 sagt von DeSßürti-ßs: "San prmnier"
omzrage am: an frangais est de 1637. C'est donc de 1637 qile date la pllilosoplzle
raoderne." Siehe auch I särie III, '77. rStewarts Pkilos. of tlle mlnd I, 14, 529.
Eloge de Parent, in Oewvres de- Fontenelle, Paris 1'766, V, 444 und VI, 318: „O'ar-
täsieoz, 02a, sl l'on veut, pkilosophe moderne."
915) "Descartes avait eaau dans Ze domaine de la pensäe Flndejaendanoey absolue
de la raison; il alvait declare 2a la seolastlque et ä la tlläologie que Pesprit de l'homme
m pomzait plus relerer que de Feluidence qu'il aurait oötenue par lM-meme. 0c qne
Luther avait eommence dans la rellgion, le genie fremgais si actlf et sl prompt Pimpor-
tait dans Za phllosophle, et l'on peut dlre ä la doable gloire de l'Allemagne et de la
France que Descartes est le ßls aine de Luther." Lerminier, Plrillw- du drall, II,
14]. Siehe auch On tlze plzllosoplzy of Descartes as a product of tlze Rdormation,
Wdrdk Ideal of a christian churclz, 498.