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Geschichte
Geistes
des Franz.
nach der andern bemerkt, von der Verschiedenheit ihres Wissens
abhängen, so leuchtet es ein, dass wir die Wirkung dieser Rich-
tungen nur verstehen können, wenn wir einen weiteren Ueberhlick
über den Grad und den Charakter dieses Wissens nehmen. Um
also die wirkliche Natur des grossen Schrittes zu begreifen, der
unter der Regierung Ludwig's XIII. gethan wurde, wird es nöthig,
dem Leser einige Proben der höheren und wichtigeren Thatsachen
vorzuführcn, welche die Geschichtschreiber zu vernachlässigen pfle-
gen, ohne die aber das Studium der Vergangenheit ein müssiges
und triviales Verfahren, und die Geschichte selbst ein unfruchtbares
Feld ist, das keine Frucht trägt, und der Arbeit gar nicht werth
ist, die auf den Anbau eines so undankbaren Bodens verwen-
det wird.
Während Richelieu mit so ausserordentlicher Kühnheit das
ganze System der Französischen Politik verweltlichte, die ältesten
Interessen ausser Acht liess, und so das älteste Herkommen in den
Wind schlug, verfolgte in einer höheren Region ein Mann, der
grösser als er war, einen ganz ähnlichen Weg, ein Mann der, wenn
ich meine eigne Meinung sagen darf, der tiefste unter den vielen
ausgezeichneten Denkern ist, die Frankreich hervorgebracht hat.
Dies ist in der That ein höchst merkwürdiges Zusammentreffen.
Ich spreche von Rene Descartes, und das Wenigste, was man von
ihm sagen kann, ist, dass er eine Revolution hervorbrachte, die
entscheidender war, als sie je irgend ein einzelner Geist bewirkt
hat. Mit seinen bloss physikalischen Entdeckungen haben Wir es hier
nicht zu thun, denn in dieser Einleitung maasse ich mir nicht an,
den Fortschritt der Wissenschaft aufzuzeichnen, ausser" in den
Epochen, welche eine neue Wendung in. den Gewohnheiten des
nationalen Denkens anzeigen. Aber ich darf den Leser daran erin-
nern, dass er der Erste war, der die Algebra mit Erfolg auf die
Geometrie anwandteflol) dass er auf das wichtige Gesetz der Sinus
2M) Thomas, Eloges in Oeuvo-es de Descartes, I, 32 sagt: vcet instmment, c'est
Descartes qm? a crää; c'est Papplieationzle lbdlgäbre ä la Gfovnätric." Und dies ist
im eigentlichen Sinne die genaue Wahrheit. Denn obgleich Vieta und zwei oder drei
Andere im 16. Jahrhundert diesen Schritt anticipirt hatten, so verdanken wir doch
Descartes die prächtige Entdeckung, dass es möglich sei, die Algebra auf die Geometrie
der Ourven anzuwenden, und er war ohne Zweifel der Erste, der sie durch algebraische
Gleichungen ausdiiickte. Siehe Montucla, Hist. des mathefmat. I, 704, 705; II. 120;
m, 64.