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des Franz.
Geschichte
Geistes
Ausübung dieses Rechtes durch ihre Gegner waren, als die Katho-
liken; obgleich die Katholiken durch die Anerkennung einer un-
fehlbaren Kirche folgerichtig abergläubisch sein müssten, und so
zu sagen die Unduldsamkeit als ein angeborenes Recht von Natur
besitzen. 135) Während also die Katholiken theoretisch bigotter
waren als die Protestanten, wurden die Protestanten praktisch bi-
gotter als die Katholiken. Die Protestanten bestanden fortwährend
auf das Recht des freien Urtheils in Religionssachen, welches die
Katholiken fortdauernd verweigerten. Abel; die Macht der Umstände
war so gross, dass in der Ausübung jede Sccte ihrem eignen
Dogma widersprach, und gerade so handelte, als ob sie das Dogma
ihrer Gegner angenommen hatte. Die Ursache dieser Verwechse-
lung war sehr einfach. Wie wir schon gesehen haben, war der
theologische Geist unter den Franzosen im Verfall, und die Ab-
nahme der Macht des Klerus wurde, wie dies unfehlbar geschieht,
von einer grösseren Duldung begleitet. Unter den Französischen
Protestanten hingegen hatte diese theilweise Abnahme des theolo-
gischen Geistes andere Folgen gehabt, weil sie eine Veränderung
ihrer Anführer hervorgebracht hatte, welche das Regiment in die
Hände des Klerus brachte, dadurch seine Macht vermehrte und
eine Reaction hervorrief, wodurch die nämlichen Gefühle Wieder
lebendig gemacht wurden, deren Verfalle eben diese Reaction ihren
Ursprung verdankte. Dies scheint den Umstand zu erklären, dass
eine Religion, die nicht von der Regierung beschützt wird, gewöhn-
lich mehr Energie und grössere Lebenskraft entwickelt, als eine,
die von ihr beschützt wird. In der Entwickelung der Gesellschaft
nimmt der theologische Geist zuerst unter den gebildeten Ständen
ab; alsdann kann die Regierung, wie sie dies in England thut,
sich einmischen, die Geistlichkeit beherrschen, aus der Kirche ein
Geschöpf des Staats machen und auf diese Weise das geistliche
Element schwächen, indem sie es mit weltlichen Rücksichten ver-
mischt. Aber wenn der Staat dies nicht thun will, dann entfallen
die Zügel der Gewalt den Händen der obern Klassen, um von der
Geistlichkeit ergriffen zu werden, und es entsteht ein Zustand, zu
435) Blanco White, Midence ayainst üatlmlißisnz S. VI. bemerkt sehr schroif: "Auf-
richtige Katholiken können mit gutem Gewissen nicht tolerant sein." Aber er irrt sich
gewiss, denn die Frage ist nicht die der Aufrichtigkeit, sondern die der Folgerichtig-
keit. Ein aufrichtiger Katholik kann mit gutem Gewissen tolerant sein, und ist es oft
wirklich, ein folgeriehtiger Katholik nie.