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Geschichte
des Franz.
Geistes
ruhigte. Aber in Einem wichtigen Puncte war Richelieu Napoleon
überlegen. Nap0leon's Leben war eine ununterbrochene Anstren-
gung die Freiheiten der Menschheit zu unterdrücken, und mit un-
vergleichlichem Talent? erschöpfte er alle seine Hülfsquellen im
Kampfe gegen die Richtungen einer grossen Zeit. Auch Richelieu
war ein Despot, aber sein Despotismus nahm eine edlere Wendung.
Er zeigte, was Napoleon nie vermochte, ein richtiges Verständniss
des Geistes seiner Zeit. In einer grossen Angelegenheit freilich
misslang es ihm. Seine Versuche, die Macht des Französischen
Adels zu zerstören, schlugen gänzlich fehlfß) denn durch eine
lange Reihe von Begebenheiten hatte sich das Ansehn dieses un-
verschämten Standes im Gemüthe des Volkes so fest gesetzt, dass
noch ein zweites Jahrhundert seine Anstrengungen darauf verwen-
den musste, den alten Einfluss des Adels zu beseitigen. Aber ob-
gleich Richelieu das gesellschaftliche und moralische Gewicht des Fran-
zösischen Adels nicht vermindern konnte, so beschnitt er doch sei-
nen politischen Einiiuss, und züchtigte seine Verbrechen mit einer
Strenge, welche wenigstens eine Zeit lang seinen früheren Ueber-
muth niederhieItH) S0 wenig jedoch kann auch der ausgezeich-
nctste Staatsmann ausrichten, wenn -er nicht durch die allgemeine
Haltung des Zeitgeistes unterstützt wird, dass diese Zügelung, so
hart sie auch war, keinen dauernden Erfolg hatte. Nach seinem
Tode erholte sich, wie wir sogleich sehen werden, der Französische
Adel schnell und erniedrigte in den Kriegen der Fronde einen
grossen Kampf zu einem blossen Familienzwist. Auch wurde Frank-
I
73) Die gewöhnliche Meinung, wie sie in Alisoßfs Holst. of Europa I, 101-104
und in manchen andern Büchern steht, ist, dass Richelieu den Einfluss des Adels
wirklich zerstört habe, aber dieser Irrthum entspringt daraus, dass der politische
Einüuss nicht von dem socialen unterschieden wird. Was man politische Macht eines
Standes nennt, ist bloss Symptom und Ausdruck seiner Wirklichen Macht, und es
führt zu nichts, die erstere anzugreifen, wenn man nicht auch die zweite schwächen
kann. Die wirkliche Macht des Adels war eine soeiale, und konnte weder Richelieu,
noch Ludwig XIV. verkürzen; sie blieb unangefochten bis zur Mitte des 18. Jahr-
hunderts, wo die Intelligenz Frankreichs sich gegen Sie empörte, sie über den Haufen
warf, und endlich die Französische Revolution zu WVege brachte.
74) Richelieu scheint den Plan, den Adel zu demüthigen, Wenigstens schon 1624
gehabt zu haben. Eine charakteristische Stelle in seinen Memoiren findet sich 11, 34g
In iSw-inburnds Uourfs qf Europa lI, 63-65 ist eine merkwürdige Anekdote über-
liefert, welche zwar wahrscheinlich unwahr, aber auf alle Fälle die Furcht und den
Hass zeigt, Womit der Französische Adel Richelielfs mehr als hundert Jahre nach
seinem Tode gedachte.