Unmittelbare
Ursachen
der
Franz.
Revolution.
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Richtungen auf die Aussenwelt, welche sein Zeitalter beherrschten,
zu entgehen, und darum nannte er sein Werk eine Abhandlung
über Empfindungen ; im) und in ihm versichert er auf's Bestimmteste,
Alles was Wir wissen, sei das Resultat der Empfindung; (larunter
versteht er den Eindruck, welchen eine Einwirkung der Aussenwelt
auf uns hervorbringt. Was man auch über die Richtigkeit dieser
Ansieht denken mag, darüber kann kein Zweifel sein, da.ss sie mit
einer Scharfe und Strenge des Denkens (lurchgcführt wurde, die
das höchste Lob verdient. Die Llntcrsuehung der Beweise, worauf
er seine Ansicht stützt, würde jedoch zu einem Gegenstande führen,
der nicht hierher gehört; wir haben hier bloss das Verhältniss
seiner Philosophie zu der allgemeinen Stimmung seiner Zeitgenos-
sen anzugeben. Ohne daher irgend auf eine kritische Untersuchung
dieses berühmten Buches Anspruch zu machen, will ich nur die
wesentlichen Sätze, worauf es gegründet ist, zusammenstellen, um
seinen Einklang mit den geistigen Gewohnheiten seiner Zeit zu
erlauternf")
Der Stoff, aus dem die Philosophie Condillaifs gezogen wurde,
fand sich in dem grossen Werke, welches Locke etwa 60 Jahre
früher bekannt gemacht. Aber obgleich manches Wesentliche von
dem Englischen Philosophen entlehnt war, so wich doch der Schüler
in einem sehr wesentlichen Punkte iron seinem Lehrer ab. Und
diese Abweichung ist ausserst bezeichnend für die Richtung, die
der Französische Geist jetzt nahm. Locke hatte mit einem etwas
nachlassigen Ausdruck und wohl auch mit einiger Ungenauigkeit
des Denkens die abgesonderte Existenz einer Kraft der Reflexion
behauptet und gesagt, durch diese Geisteskraft würden die sinn-
lichen Eindrücke verwendctfß) Condillac, unter dem Plinfluss seines
Zeitgeistes, wollte von einer solchen Unterscheidung nichts wissen.
Wie alle seine Zeitgenossen war er eifersüchtig auf jeden Anspruch,
im) „Tmz't6 des sensatimzs," "Sams cowzparaison Ze clzqf-efoeuvre de Ozmdillae."
um. de la phil. H. Serie, II, 77.
97) Ueber den ungeheuern Einfluss Condillaifs vergl. Renouard, Ilist. de laxnzädeeine
II, 355; Uuväer, Eloges lll, 387; Broussais, Oours de phräzzoloyie 45, 68-71, 829;
Pingl, Al-iän. mentale 94; Browazfs Philus. of tke mind, 212.
93) Ob Locke glaubte; dass die Reflexion sowol eine unabhängige als eine abge-
Sonderte Eigenschaft sei, ist ungewiss; denn aus seinen Schriften können Stellen für
und wider angeführt werden. Dr, Whewell bemerkt ganz richtig, Locke gebrauche
den Ausdruck so unbestimmt, "dass sich seine Schüler bei seiner Lehre denken
könnten, was sie wollten." Hist. qf moral phil. 1852, 71.