Unmittelbare Ursachen
der
Franz.
Revolution.
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wenn nicht früherß") ist die Christenheit in zwei grosse Secten
getheilt gewesen, welche sich wohl in mancher Hinsicht durch
unmerkliche Schattirungen vereinigen, im Ganzen aber die entschie-
denen Züge ihres ursprünglichen Zwiespalts beibehalten haben.
Von der einen Secte wird die Freiheit des Willens wesentlich und
oft ausdrücklich geleugnet, denn es wird behauptet, nicht nur dass
wir mit unserem eignen Willen nichts Verdienstliches ausrichten
können, sondern auch dass alles Gute, das wir thun mögen, zu
nichts nutzt, da die Gottheit einige zur V erdammniss und andere
zur Seligkeit vorausbestimmt habe. Von der andern Secte wird
die Freiheit des Willens stark behauptet. Gute Werke werden für
wesentlich zur Seligkeit erklärt, und die Gegenpartei wird ange-
klagt, sie überschätze den Zustand der Gnade, der nothwendig vom
Glauben begleitet sein mussß")
Wenn diese entgegengesetzten Prinzipien zu ihren logischen
Consequenzen getrieben werden, müssen sie die erste Secte zum
Widerspruch in sich führenßl) und die zweite zu den über-gebühr-
lichen Werkenßz) Aber da die Menschen über solche Gegenstände
viel mehr fühlen als denken, so folgen sie gewöhnlich irgend einer
allgemein beglaubigten Fahne, oder berufen sich auf irgend einen
alten Namen, 33) und stellen sich daher gewöhnlich auf der einen
Seite unter Augustin, Calvin und Jansen, auf der andern unter
Pelagius, Arminius und Molina.
Nun ist es eine interessante Thatsache, dass die Lehren, die
wir in England calvinistisch nennen, immer mit einem demokra-
tischen Geiste vcrbunden gewesen sind, während der Arminianis-
mus mehr von der aristokratischen und protectionistisehen Partei
99) Ncander, Hist. of tke clmrch IV, 105 findet den Keim der Pclagianischen
Streitigkeit in dem Streits zwischen Athanasius und Apollinaris. Vcrgl. über seinen
Ursprung eine Anmerkung in Ilililmaifs Hist. of Olwistiamty, 1840, III, 270, 271.
30) Kein Schriftsteller, den ich kenne, hat so richtig und klar die theologischen
Grenzen dieser Doctrinen festgestellt, als Goethe in Wahrheit und Dichtung, Werke,
1837 , Band II, Theil II, 200.
34) Vergl. Butlefs Mem. of tlw Oatlwlics III, 224; Oopleston an necessiiy (md
predestination 25, 2G; Mosheiwifs Eccl. bist. II, 254.
3?) Daraus ist die Theorie des Ablasses von der Römischen Kirche ganz folge-
richtig congtruirt worden, und die meisten Gründe der Protestanten dagegen sind
unlogisch.
33) Dies scheint die natürliche Tendenz zu sein, wie auch Neander in seiner lehr-
reichen Darstellung der Gnostiker bemerkt, Hist. of tlzie CINITCIL II, 121.
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