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Historische Literatur
in Frankreich
Dienst geleistet haben, dass er zeigte, wie eine ihrer ergiebigsten
Irrthumsquellen mit Sicherheit entfernt werden könne. Und ob-
gleich wir unglücklicher Weise noch nicht den ganzen Vortheil
von seinem Beispiel geerntet haben, weil seine Nachfolger selten
die Fähigkeit hatten sich zu einem so hohen allgemeinen Gedanken
zu erheben; so ist es doch gewiss, dass seit seiner Zeit eine An-
näherung zu so erhabenen Ansichten bemerkbar wird selbst unter
den geringeren Schriftstellern, die aus Mangel an hinlanglicher
Fassungskraft nicht im Stande sind, sie in ihrer vollen Ausdehnung
sich zu eigen zu machen.
Daneben that Montesquieu in der Methode der Geschichtschrei-
bung noch einen andern Schritt vorwärts. Er rief zuerst bei der
Untersuchung der socialen Zustände eines Landes im Verhältniss
zu seiner Jurisprudenz die Naturwissenschaft zu Hülfe, um zu
sehen wie der Charakter einer gegebenen Stufe der Civilisation
durch die Einwirkung der Aussenwelt bedingt werde. In seinem
Werk über den Geist der Gesetze untersucht er wie sowohl die
bürgerliche als die politische Gesetzgebung natürlich mit dem Klima,
dem Boden und den Nahrungsmitteln zusammenhängt. '37) Zwar
misslang ihm dieses grosse Unternehmen fast gänzlich; aber dies
kam daher, dass Meteorologie, Chemie und Physiologie noch ;u
weit zurück waren, um es möglich zu machen. Dies triift aber
nur den Werth seiner Folgerungen, nicht seiner Methode; und hier
wie in manchen andern Fällen sehen wir den grossen Denker
einen Plan skizziren, der sich bei dem Zustande der Wissenschaft
seiner Zeit nicht ausführen lässt und dessen Vollendung er der
reiferen Erfahrung und den grösseren Mitteln einer späteren Zeit
überlassen muss. . So den Gang des menschlichen Geistes zu anti-
cipiren und gleichsam seinen künftigen Eroberungen vorzugreifen
ist das eigenthümliche Vorrecht der grössten Geister; und gerade
dies giebt den Schriften Montcsquiews ein gewisses fragmentarisches
und provisorisches Ansehen. So musste es einem tief speculativen
Geiste in Behandlung eines widerspenstigen Stoffes ergehen, bloss
weil die Wissenschaft ihn noch nicht geordnet und seine Erschei-
nung in Gesetze gefasst hatte. Daher sind manche von Montes-
quieu's Schlüssen unhaltbar, wie z. B. die über den Einfluss der
Diät auf die Vermehrung der Bevölkerung durch Erhöhung der
l Esprit des lois
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Oeuv.
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