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Historische Literatur
Frankreich
behandelten sie ihr Thema nicht nach neueren Begriffen, sondern
nach den Begriffen, die sie aus ihrer Lieblingsbeschäftigung ge-
wonnen hatten. Diese Verwirrung verschiedener Standpunkte mit
einander verursachte einen doppelten U ebelstand. Die Geschicht-
schreiber, die so verfuhren, schadeten der Originalität ihres eignen
Geistes, und was noch ärger War, gaben der Literatur ihres Vater-
landes ein schlechtes Beispiel; denn jede grosse Nation hat ihre
eigne Ausdrueks- und Denkweise, womit ihre Sympathieen auf's
Genauste zusammenhängen. Irgend ein fremdes Muster einzuführen,
sei es auch noch so bewundernswürdig, heisst diesen Zusammen-
hang verletzen, es heisst den Werth der Literatur durch die Be-
schrankung ihrer Tragweite schwächen. Durch ein solches Ver-
fahren mag vielleicht der Geschmack verfeinert werden, aber ihre
Kraft wird gewiss geschwächt werden. Ja selbst die Verfeinerung
des Geschmacks kann man wohl bezweifeln, wenn man sieht, was
in unserm Vaterlande stattgefunden hat, wo unsere grossen klassi-
schen Gelehrten die Englische Sprache durch ein so ungesehlachtes
Kauderwalsch verdorben haben, dass ein einfacher Verstand kaum
den" wahren lllangel an Ideen entdecken kann, den sie mit ihrer
barbarischen und buntscheckigen Sprache zu verbergen suchenm)
Jedenfalls ist es gewiss, dass jedes Volk, das den Namen einer
Nation verdient, in seiner eignen Sprache hinlängliche Mittel be-
sitzt, die höchsten Ideen, die es zu fassen fähig ist, auszudrücken;
und obgleich es in der Wissenschaft bequem sein mag, solche
Woite zu prägen, die am leichtesten in fremden Ländern verstan-
den werden, so ist es doch ein grosses Unrecht, in andern Dingen
von der Muttersprache abzuweichen, und ein noch grösseres, Be-
m) Mit der einzigen Ausnahme Porson's hat nicht einer von den grossen Eng-
lischen Philologen gezeigt, dass er die Schönheiten seiner Muttersprache zu schätzen
wisse; und viele von ihnen wie Parr (in allen seinen Werken) und Bentley (in seiner
wahnsinnigen Ausgabe Miltons) haben ihr Möglichstes gethan, sie zu verderben. Und
es ist nicht zu bezweifeln, der Hauptgrund, warum wohlerzogene Frauen in einem
reineren Stil schreiben und sprechen, als wohlerzogene Männer, ist, weil sie ihren
Geschmack nicht nach den alten klassischen Mustern gebildet haben, welche, so bewun-
dernswürdig sie an sich sind, nie in einen Zustand der Gesellschaft eingeführt werden
sollten, der nicht für sie passt. Ich füge noch hinzu, dass Oobbett, der originalste
und Englischste von all unsern Schriftstellern, und Erskine, der grösste von unsern
Gerichtsrednem, wenig oder gar nichts ,von irgend einer alten Sprache Wussten. Das-
selbe gilt von Shakespeare. Uebcr den angenommenen Zusammenhang der Geschmacks-
besserung und des Studiums klassischer Vorbilder finden sich einige beachtenswerthe
Bemerkungen in Ray's Ilhäorie et pratique de Za science sooiale I, 98-101.