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Geschichte
Franz.
des
Geistes
und trug so dazu bei, die Ansichten, die er zur allgemeinen An-
nahme empfahl, populär zu machen.
Dies ist also die erste offene Erklärung des Skepticismus,
der gegen das Ende des 16. Jahrhunderts in Frankreich auftrat. 41)
Fast drei Generationen hindurch setzte er seine Entwickelung mit
immer wachsender, Thätigkeit fort, ähnlich wie dies in England
geschehen war. Wir brauchen nicht alle Schritte dieser grossen
Entwickelung zu verfolgen, aber ich Will versuchen, die hervor-
stechendsten und wichtigsten anzugeben.
Wenige Jahre nach dem Erscheinen der Abhandlungen von
Montaigne wurde in Frankreich ein Werk Veröffentlicht, welches
jetzt zwar wenig gelesen wird, aber im 17. Jahrhundert einen Ruf
ersten Ranges besass. Dies war die berühmte "Abhandlung über
die Weisheit" von Charron, worin wir zum erstenmal in einer
neuern Sprache den Versuch gemacht sehen, ein Moralsystem
ohne Hülfe der Theologie aufzubauenßß) Was dies Buch in man-
cher Hinsicht fast noch mächtiger machte, als das von Montaigne,
war die ernste Miene, mit der es gescln-ieben war. Charron hatte
offenbar ein starkes Bewusstsein von der Wichtigkeit seiner Unter-
nehmung und unterscheidet sich ehrenvoll von seinen Zeitgenossen
durch eine merkwürdige Reinheit sowohl seiner Sprache, als auch
seiner Gefühle. Sein Werk ist fast das einzige aus jener Zeit,
in dem sich nichts findet, was auch das keuscheste Ohr beleidigen
könnte. Obgleich er von Montaigne unzählige Stellen zur Erläute-
rung 44) borgte, so liess er doch sorgfaltig die Unanstandigkeiten
jeder Hinsicht ein competexiterer Richter, lobt begeistert „die Naivetät, die Anmuth
und die Kraft seines unnachahmlichen Stils." Muss-et Potliay, Vie de Roussealw I,
185. Vergl. Lettres de Sevignä lll, 491, und Leih-es de Dualefand ä Walpole 1, 94.
49) "Aber der den Skepticismus in Frankreich verbreitet und populär gemacht
hat, das ist Montaigne." Cousin, Hist. de la phil. II särie, V01. II, 283, 289. „Die
erste Regung des skeptischen Geistes finden wir in den Versuchen des Michael von
Montaigne." Tennemann, Gesck. der Pltilos. IX, 443. Ueber seinen ausserordentlichen
Einfluss vergl. Zermemanaz lX, 458; Monteil, Divers 6mm V, 263-65; Sorel, Biblio-
tlzeque Fwmgaise 80-91; Le Lang, Bibliotheque histarique IV, 527.
43) Vergl. die Bemerkungen über Charron in Tennemanafs Gesch. der Plailos. IX,
527 mit zwei tückischen Stellen in Gitarren, De la Sayesse I, 4, 366.
44) Charron war Montaigne allerdings sehr verpüichtet, aber in Manchem ist die
Sache doch übertrieben dargestellt worden. Serel, Bibliothäqzm Frangaise 93, und
Hallzmfs Lit. of Europe II, 362, 509. Ueber die wichtigsten Gegenstände dachte
Oharron kühner und tiefer als Montaigne, obgleich er jetzt so wenig gelesen wird,
dass der einzige leidlich vollständige Bericht von seinem System, den ich gesehen