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Historische Literatur
in Frankreich
das jemals gegen den Protestantismus gerichtet wurde. 58) Aber
als er diesen Gegenstand verliess, und sich auf das weite Feld
der Geschichte begab, fiel ihm keine bessere Methode ein, seinen
neuen Gegenstand zu behandeln, als dass er sich der Willkür hin-
gab, die seinem Stande eigenthümlich ist. 59) Sein Werk ist ein
frecher Versuch, die Geschichte zu einer blossen Hausmagd der
Theologie zu erniedrigen. W) Als wenn in solchen Dingen Zweifel
und Verbrechen dasselbe waren, nimmt er ohne das geringste Be-
denken Alles für ausgemacht, was die Kirche zu glauben gewohnt
war. So kann er mit der vollkomniensten Zuversicht über Ereig-
nisse sprechen, die sich in das {ernste Alterthum verlieren. Er
weiss die genaue Zahl von Jahren, die seit dem Augenblick ver-
flossen ist, wo Cain seinen Bruder ermordete, wo die Sündiluth
über die Welt kam, wo Abraham berufen wurdeß") Den Zeitpunkt
dieser und ähnlicher Vorfälle giebt er mit einer Genauigkeit an,
die uns fast glauben lassen möchte, sie hatten zu seiner eignen
53) Dies ist Hallanfs Ansicht über Bossuefs Geschichte der Veränderungen in
der protestantischen Kirche. Oonst. hyist. I, 486; vergleiche Lerminier, Philos. du
droit II, 86. Protestantische Theologen haben es versucht, Bossuet's Gründe gegen
die Katholiken herumzudrehen, aus dem Grunde, dass religiöse Veränderungen eine
nothwendigc Folge der ehrlichen Forschung nach religiöser Wahrheit wären. Siehe
Blanco Wlattds Evidence agatnst catholtctsvzz, 109-112 und seine Letters jämn öpatn,
bei Dcblado, 127. Damit stimme ich vollkommen überein; aber es würde leicht sein,
diesen Grund gegen alle kirchlichen Systeme mit genau festgesetzten Bekenntnissen zu
wenden, er trifft daher die protestantischen Kirchen ebenso stark, als die katholische.
Beausobre, in seinem scharfsinnigen und gelehrten Werk Aüber den Maniehäismus,
scheint dies gefühlt zu haben, und macht das gefährliche Zugeständniss: Hque si l'ar-
gument de M. de Meaux caut quelque chosc contre la reformatian, i! avla münze force
aontre Ze christidnisme." Bist. de Manichäe I, 526. Ueber Bossuets Fähigkeit zur
Oontroverse siehe Stäudltn, Geschichte der theologischen Wissenschaften II, 43-45;
als gleichzeitige Meinung über sein grosses Werk enthalten die Lettres de Semyn6
V, 409 eine charakteristische Stelle.
59) Seine Methode wird sehr richtig von Sismondz;
dargestellt.
Hist.
427
F um gais XXV,
des
'30) Siehe über dieses Unternehmen Bossueifs einige gute Bemerkungen in Stäudlin,
II, 198: "Kirche und Christenthum sind für diesen Bischof der Mittelpunkt der
ganzen Geschichte. Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet er nicht nur die Patriarchen
und Propheten, das Judenthum und die alten Weissagungen, sondern aueh die Reiche
der Welt."
64) Bossuet, Discours sm- l'histoire universelle, I0, 11, 16,
ein merkwürdiges Beispiel seiner chronologischen Berechnungen.
siehe auch 90,