240
Historische Literatur in hankrcich
Alles. Du Haillan war nicht damit zufrieden, von seinem Vor-
gänger das Allerunglaublichste geborgt zu haben, und befriedigt
seine Leidenschaft für das Wunderbare durch einige eigene Erfin-
dungen. Er beginnt seine Geschichte mit einem langen Bericht
über eine Rathssitzung, Welche, wie er sagt, von dem berühmten
Pharamond gehalten w01'den war, um festzustellen, 0b die Fran-
zosen von einer Monarchie oder von einer Aristokratie regiert wer-
den sollen. Es ist zweifelhaft, ob so eine Person wie Pharamond
jemals existirt hat; und es ist gewiss, wenn er existirt hat, so sind
alle Materialien längst zu Grunde gegangen, aus denen man sich
eine Meinung über ihn bilden könnte. I) Aber Du Haillan kehrt
sich nicht an diese kleinen Schwierigkeiten, und giebt uns die
vollständigsten Nachrichten über diesen grossen Häuptling, und
als wolle er die Leichtglaubigkcit seines Lesers auf die ausserste
Probe stellen, erwähnt er als Mitglieder des Gcheimenrathes von
Pharamond zwei Personen, Oharamond und Quadrek, die er mit
sammt den Namen selbst erfunden hat. S)
Dies war der Zustand der historischen Literatur in Frankreich
im Anfange der Regierung Heim-ich's III. Eine grosse Aenderung
stand aber bevor. Der merkwürdige intellcctuelle Fortschritt, den
die Franzosen gegen den Schluss des 16. Jahrhunderts machten,
7) Vergleiche Sisanondi, Hist. des Frangais I, 176, 177 mit Montlosier, Monarchie
Frungaise I, 43, 44. Philippe de Comines, der zwar Sismondi und Montlosier an
Geist überlegen war, lebte im Mittelalter, und es fiel ihm daher nicht ein, zu zwei-
feln, sondern er sagt ganz einfach: "Pharamond fut esleu roy, l'un 420, et räyna
dix ans." Mävn. de Comines Liv. VIII, chap. XXVlI, vol. III, 232. Aber De Thou,
der 100 Jahr später lebte als Comines, hatte offenbar einen Argwohn {dass die Sache
wohl nicht ganz richtig wäre, und führt daher Andere an. ulülzwraavzonzl, qui selon
nos histov-ims a portä le premier la couronne des Frangois." De Thou, Hist. uni-v.
X, 530. Eine merkwürdige Stelle über Pharamond siehe in Mäm. de Duplessis
Momay II, 405. i
3) Sorel, 11a bibliothöque Frangoise, Paris 1667, Seite 373, sagt von Du Haillan:
"On Im" peu! reprocher d'avoir domzä 1m aommenceznent falruleux Z1 son kistoire, qm
9st entzfärevnent de son iwumtion, ayant fait tenir zm conseil entre Plzaramond et m;
plus ßdellcs conseillers, pour sgauoio- si uyant la puissance an Main i! deuoit reduire
m- Fy-angois m4 gomzerneonent aristocrutique au monarchique, e! faisant faire une
luzranyue ä clmczm d'eux 120m" 80uslenz'r son opinion. On y mit les mms de 07mm-
mond et de Quadrelc, persmmayes imaginaires." Sorel, bei dem die Vorstellung auf.
dämmerte, dass dies nicht gerade der Weg sei, wie man Geschichte schreiben müsse,
fügt hinzu: „C"est une clwse fort smßredzantc. On est fort peu asgeurd 811 Phm-ammd
fut Jumuis au monde, et qu-oi qu'on spucke qu'il y ait estd, c'est une terrible kurdiesse
d'en raconter des choses, qui n'ont aucun appuy."