Hist.
Literatur in Frankr.
Ende des
I6. bis Ende des 18.
Jahrh.
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die dem Studium der Geschichte am günstigsten sind, kennen ge-
lernt, so werden wir wohl auch mit grösserer Leichtigkeit die
Wahrscheinlichkeit ihrer ferneren Vervollkommnung untersuchen
können.
In Rücksicht auf diesen Gegenstand haben wir eine vorläufige
Betrachtung zu machen, nämlich, dass die Menschen immer früher
in Religionssachen zu zweifeln begannen, als sie dies in Sachen
der Geschichte zu thun wagten. Man hätte denken sollen, dass
die Vorwürfe und in aberglaubischen Zeiten die Gefahren, denen
man sich durch Ketzerei aussetzte, die Forscher einschüchtern und
sie bewegen würden, deli sicherern Weg vorzuziehen und ihren
Skepticismus auf Fragen literarischer Speculation zu richten. Dies
ist aber keineswegs die Methode, welche der menschliche Geist
gewählt hat. Auf einer niederen Stufe der Gesellschaft, wo die
Geistlichkeit Einfluss auf Alles hat, ist der Glaube an das unver-
zeihliche Verbrechen eines religiösen Irrthums so tief eingewurzelt,
dass er die Aufmerksamkeit Aller in Anspruch nimmt; er zwingt
jeden, der denkt, seine Betrachtungen und Zweifel auf die Theo-
logie zu concentriren, und lässt keine Musse für Gegenstände übrig,
denen man eine geringere Wichtigkeit zuschreibt. 1) Deswegen
erschöpften viele Jahrhunderte lang die schärfsten Denker Europas
ihre Kraft im Nachdenken über die Gebräuche und Dogmen des
Christenthums; und während sie in diesen Gegenständen oft das
grösste Talent zeigten, entwickelten sie in andern Dingen, und
besonders in der Geschichte jene kindische Leichtglaubigkeit, von
der ich bereits mehrere Beispiele gegeben habe.
Aber wenn im Verlauf der Gesellschaft das theologische Element
in ihr in Verfall gerath, dann wird der Eifer, womit religiöse
Streitigkeiten früher geführt wurden, merklich geschwächt. Die
vorgeschrittenstcn Intelligenzen fühlen die wachsende Gleichgültig-
4) Siehe einige sehr richtige Bemerkungen in TVkeweZVs Philos. (f the imluc.
scienßßs II, 143; in Neandefs Hist. of the church IV, 41, 128 sind zwei interessante
Fälle von dem allgemeinen Interesse, welches theologische Erörterungen einst in Europa
einilössten; und über die frühere Unterordnung der Philosophie unter die Theologie
vergleiche Hamiltonis Discussions on pbilosophie, 197. Aber Niemand hat dies so gut
behandelt als Auguste Oomte in seinem grossen Werk: Philosophie positive. Der
Dienst, den die Metaphysiker der Kirche durch ihre Entwickelung der Lehre von der
Transsubstantiation leisteten, ist ein schlagender Beweis von dieser Unterordnung des
Geistes unter die kirchlichen Dogmen. Blmwo Wlzilds Evidence against aatlwmism,
256-258.