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Frühere
der
Ursachen
Franz.
Revolution.
durch ihre blosse Erwähnung zum Unwillen aufgeregt werden, was
müssen die gefühlt haben, vor deren Augen sie wirklich vor sich
gingen? Und wenn zu dem Abscheu, den sie natürlich eintlössten,
noch die Furcht hinzutrat, die Jedermann empfinden mochte, er
werde vielleicht das nächste Opfer sein; wenn wir uns ferner erin-
nern, dass die Urheber dieser Verfolgungen keine von den Fähig-
keiten besassen, wodurch zuweilen selbst das Laster geadelt wird;
wenn wir so die Armuth ihres Verstandes mit der Grösse ihrer
Verbrechen zusammenhalten, so müssen wir uns vielmehr über die
Geduld ohne Gleichen wundern, durch die allein die Revolution so
lange hinausgeschoben wurde, statt darüber erstaunt zu sein, dass
eine Revolution eintrat, durch welche die ganze Staatsmaschine
hinweggeschwemmt wurde.
Mir war diese Verzögerung der Revolution in der That immer
einer der schlagendsten Beweise in der Geschichte von der Gewalt
eingeführter Gewohnheiten und von der Hartnäckigkeit, womit der
menschliche Geist an alten Vorstellungen festhält. Denn hat es je
eine wesentlich und durch und durch verderbte Regierung gegeben,
so war es die von Frankreich im 18. Jahrhundert. Hat es jemals
einen Zustand der Gesellschaft gegeben, von dem zu erwarten war,
er werde durch seine schreienden und angehäuften Uebel die
Menschen zum Wahnsinn und zur Verzweiflung treiben, so war
Frankreich in diesem Zustande. Das Volk, verachtet und geknechtet,
war in die erbarmlichste Armuth gesunken und durch Gesetze von
der schärfsten Grausamkeit, die mit erbarmungsloser Barbarei durch-
gesetzt wurden, zu Boden gedrückt. Eine souveraine unverant-
wortliche Herrschaft über das ganze Land wurde von der Geist-
lichkeit, dem Adel und der Krone ausgeübt. Die Intelligenz
Frankreichs war in den Bann einer unbarmherzigen Aechtung
gethan, ihre Literatur verboten" und verbrannt, ihre Schriftsteller
ausgeplündert und eingesperrt. Und es zeigte sich nicht das ge-
ringste Symptom, dass diesen Uebeln abgeholfen werden möchte.
Die Anmassung der obern Klassen war durch ihre lange Herrschaft
gesteigert worden, und sie dachten nur daran, den Augenblick zu
geniessen, sie kümmerten sich nicht um die Zukunft und sahen
den Tag der Abrechnung nicht herannahen, deren Bitterkeit sie
bald erfahren sollten. Das Volk blieb in der Sklaverei, bisdie
Revolution wirklich hereinbrach", und gegen die Literatur sah man
fast in jedem Jahre einen neuen Anlauf der Gewalt, um sie auch
noch der Freiheit zu berauben, die ihr übrig geblieben war. Als