Bevormundender Gqeist unter Ludwig XIV.
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sinkenden Jahre des Königs verbitterten, waren in der 'l'h:rt so
ernsthafter Art, dass sie unsere Theilnahme erregen müssten, wenn
wir nicht wüssten, dass sie die Folge seiner eigenen leidenschaft-
lichen Ehrsucht, seiner unerträglichen Anmassung, aber vor Allem
einer übergreifenden ruhelosen Eitelkeit waren, die ihn verleitete
den Ruhm ganz Frankreichs in seiner einzigen Person zu con-
beweisen ausserdem, dass es in Paris im Anfange des 18. Jahrhunderts selbst den
reicheren Ständen anfing an Mitteln zu fehlen, während sowohl der öffentliche, als
der Privateredit so erschüttert war, dass man kaum unter irgend einer Bedingung
Geld erlangen konnte. Im Jahre 1710 beklagt das Weib Ludwigs XIV. sich, dass
sie nicht im Stande sei, 500 Franken zu borgen: „T0ut man crädit ecltoue sauren!
auprös de Mons. Dcsvnurctz pour um somme de einq cent liwes." Ibid. II, 33.
1709 schreibt sie I, 447: „Le jcu dcvfmt inszpide, parceqißil n'y a presque plus
ofargent." Siehe auch Il, 112; und im Februar 1711 schreibt sie S. 151: „ce n'est
pas Pabondance, mais Pavm-ice qml fair jouer nos couriisans; am mät le iout ßour le
tout, prmr avoir quelquc argcni, et les mbles de Lansquenet am! plus l'air d'un trisle
oommercc, qm d'un divcrtisseznent." Ueber das Volk im Allgemeinen geben uns die
Französischen Schriftsteller wenig Aufschluss, weil sie in diesem Zeitalter zu sehr
mit ihrem grossen Könige und ihrer glänzenden Literatur beschäftigt waren, um blosse
Volksinteressen zu beachten. Ich habe aber aus anderen Quellen einige Nachricht ge-
schöpft, die ich hier zusammenstellen will, und dem nächsten Französischen Schrift-
steller empfehle, der eine Geschichte Ludwig's XIV. schreiben will.
Locke, dcr 1676 und 1677 in Frankreich reiste, schreibt in seinem Tagebuch:
"Die Pacht von Land in Frankreich ist in diesen wenigen Jahren um die Hälfte ge-
fallen wegen der Armuth des Volks." King's 1472: of Locke 1, 129. Um dieselbe
Zeit sagt Sir William Twnple, Worlcs lI, 268: „Die Französische Bauernschaft ist
ganz Entmuthigt durch Arbeit und Dürftigkeit." 1691 schreibt ein anderer Beobachter
nach seiner Abreise von Calais: „Von hier bis nach Paris hat man Gelegenheit genug,
zu beobachten, zu welch einem furchtbaren Grade von Armuth die Ehrsucht und
Ununischränktheit eincs Tyrannen ein reiches und fruchtbares Land herunterbringen
kann. Es zeigten sich alle Merkmale eincs wachsenden Elendes, alle unheimlichen
Anzeichen einer überhand nehmenden Armuth. Die Felder waren unbestellt, die
Dörfer nnbcwohnt, und die baufälligen Hiiuser drohten den Einsturz." Bzwtonk Diary
Anmerkung von Rutt, IV, 79. In Sonzefs Tmots X, 264 sagt ein Autor im Jahre
1689: „Ich habe arme Leute in Frankreich gekannt, die ihre Betten verkauften, und
auf Stroh schliefen, die ihre Töpfe, ihre Kessel, und allen nothwendigen Ilausrath
verkauften, um den unbarmherzigen Einnehmer der königlichen Abgaben zu befriedi-
gen." Doctor Lister, der Paris 1698 besuchte, sagt: Die Menge der armen 'l'eüfß1 in
allen Theilen dieser Stadt ist so gross, dass man in einer Kutsche oder zu Fuss auf
der Strasse, oder sogar in einem Laden überall auf gleiche Weise in seinen Geschäften
gehindert wird durch die Zudringlichkeit von Bettlern. Leister? Account of Paris 45,
Vergleiche einen Brief von Prior in Ellisis Letters of lilqrwry man, 213- 1708 Schreibt
Addisoll, der aus persönlicher Beobachtung mit Frankreich sehr wohl bekannt war:
yaWiT denken hier, wie Ihr auf dem Lande, dass Frankreich in seinen letzten Schuhen
steht." Aikiafs Lzfe of jfddisüh I, 233. Endlich 1715, also drei Jahre nach Lud-