Geschichte
des Franz.
Geistes
fähr derselbe Zwischenraum zwischen dem Fortschritt des Skepti-
eismus in beiden Ländern bestand. Zwar die theologische Litera-
tur nahm reissend zufs) aber erst im 17. Jahrhundert brachte
Frankreich jene grosse weltliche Literatur hervor, deren Gegen-
stück wir in England schon vor dem Schluss des 16. Jahrhunderts
finden.
Dies War in Frankreich die natürliche Folge davon, dass die
Macht der Kirche über die Zeit hinaus verlängert wurde, WO die
Gesellschaft sie brauchte. Aber neben diesem intellectuellen Re-
sultat waren die moralischen und physischen Folgen noch viel
ernsthafter. Während die Gcmüther der Menschen durch religiösen
Streit erhitzt waren, konnte man nicht erwarten, Grundsätze des
Wohlwollens, denen jede theologische Faotion immer fremd gewesen
ist, in Wirksamkeit zu sehen. Während die Protestanten die
Katholikenf") und die Katholiken die Protestanten mordeten, war
es nicht wahrscheinlich, dass eine Secte für die Meinung ihrer
Gegnerin duldsam sein WülTlQ") Im 16. Jahrhundert Wurden
gelegentlich zwischen beiden Parteien Verträge geschlossen, aber
45) Monüzil, Hist. des divers ätats VI, 136. Der theologische Geist ergriff sogar
das Theater, und die verschiedenen Secten machten sich gegenseitig über ihre Prinzi-
pien auf der Bühne lustig. Eine merkwürdige Stelle in demselben gelehrten Werke
findet sich S. 182.
w) Die Verbrechen der Französischen Protestanten sind zwar in Felicek Hisiory
qf the protestamts in Franco 138-143 kaum erwähnt, waren aber doch ebenso em-
pörend, als die der Katholiken, und ebenso zahlreich im Verhältniss der Anzahl und
der Macht beider Parteien. Vergl. Sismondi, Hist. des Frangais XVIII, 516, 517, mit
Odpejigue, Hist. de la wforme II, 173, VI, 54; und Snzedley, Hist. of tlw reformcd
relzlqion in Frcmce I, 199, 200, 237.
47) Im Jahre 1569 schreibt Oorero: "Allerdings fand ich jenes Königreich wieder
in der grössten Verwirrung, denn jene religiöse Spaltung, wodurch sich Alles gleich-
sam in zwei Faktionen und specielle Feindschaften schied, war die Ursache, dass Jeder
ohne alle Rücksicht auf Freundschaft oder Verwandtschaft dastand, aufnlßTksüm hin-
horchte und voll'Vcrdacht lauschte, von welcher Seite irgend ein Laut kommen möge."
Reiat. des cmbass. Venitiens II, l06. Er fügt mit Nachdruck hinzu: „In Furcht
schwebten die Hugenotten, in Furcht die Katholiken, in Furcht der König, in Furcht
die Unterthanen." Siehe auch über diesen furchtbaren Zustand der öffentlichen Mei-
nung Säsnzondz", Hisi. des FWZMQCHS XVIII, 21, 22, 118-420, 296, 430. Voll beiden
Seiten würden die gröbsten Verleumdungen verbreitet und gßglaubt, und eine von den
Anklagen gegen Katharina von Medicis war, dass sie die Frauen der Protestanten dem
Kaiserschnitt uuterwerfe, damit keine neuen Ketzer geboren würden. Sprengel, 1158;,
de la mädecine VII, 294.