184
Bevormundender Geist unter Ludwig
XIV.
wig's XIV. das Feld des Genius zu verengen, und die Wissen-
schaft der Kunst aufzuopfern. Die zweite Folge war, dass auch
in der Kunst selbst sehr bald ein merklicher Verfall eintrat. Eine
kurze Zeit brachte die künstliche Anregung ihre Wirkung hervor,
darauf folgte aber jener Zusammenfall, der ihre natürliche Folge
ist. S0 entschieden schädlich ist das ganze System der Gönner-
schaft und der Belohnung, dass nach dem Tode der Schriftsteller
und Künstler, deren Werke die einzige Ehrenrettung für die Re-
gierung Ludwigs XIV. bilden, sich nicht ein einziger Mann fand,
der fähig gewesen wäre, ihre Vorzüge auch nur nachzuahmen.
Die Dichter, Dramatiker, Maler, Musiker, Bildhauer, Baukünstler
waren fast ohne Ausnahme unter einer freieren Politik, wie sie vor
seiner Zeit bestand, nicht nur geboren, sondern auch erzogen. Als
sie ihre Arbeiten begannen, zogen sie Vortheil von einer Frei-
gebigkeit, welche ihr Genie zur Thätigkeit aufmunterte. Als aber
in wenigen Jahren diese Generation ausgestorben war, kam die
Hohlheit des ganzen Systems deutlich zum Vorschein. Mehr als
ein Viertel Jahrhundert vor dem Tode Ludivig's XIV. hatten die
meisten von diesen ausgezeichneten Männern zu leben aufgehört;
und nun konnte man sehen, zu welch einem elenden Zustande das
Land unter der gerühmten Gönnersehaft des grossen Königs her-
untergebracht war. Und in dem Augenblick, als Ludwig XIV.
starb, gab es in Frankreich kaum einen Schriftsteller oder einen
Künstler von Europäischem Rufe. Dies ist ein Umstand, der gar
sehr unsre Beachtung verdient. Wenn wir die verschiedenen Zweige
der Literatur vergleichen, so finden wir, dass die geistliche Beredt-
samkeit, weil sie am wenigsten unter dem Einfluss des Königs
stand, sich am längsten gegen sein System halten konnte. Massil-
lon gehört zum Theil in die folgende Regierung, aber auch die
beiden andern grossen Geistlichen, Bossuet und Bourdaloue, lebten
beide bis 1704;5ß) Mascaron bis 1703, 5") und Fleehier bis 1710.60)
Da aber der König, besonders in seinen letzten Jahren grosse
Scheu davor hatte, sich mit der Kirche zu befassen, so können
wir den Einfluss seiner Politik besser in weltlichen Dingen ver-
folgen, weil dort seine Einmischung am thätigsten war. Es wird
daher das Einfachste sein, zuerst die Geschichte der schönen Künste
Biog.
I Md.
I bid
univ. V, 236,
XXVII, 351.
xv, 35.
358.