Ludwig XIV.
Geist unter
Bevormundender
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Unter einem solchen System erfolgt zuerst natürlich die Ver-
armung und die Verknechtung des Genies, dann der Verfall des
Wissens und endlich der Verfall des ganzen Landes. Dreimal ist
dies Experiment in der Weltgeschichte gemacht worden; zur Zeit
des Augustus, Leo's X. und Ludwigs XIV. wurde dieselbe Me-
illüdß mit demselben Erfolge angewendet. In jedem dieser Zeit-
alter war Viel scheinbarer Glanz und unmittelbar darauf folgte ein
plötzlicher Untergang. In allen diesen Fallen überlebte der Glanz
die Unabhängigkeit, und allemal sank der Nationalgeist unter der
verderblichen Verbindung der Regierung und der Literatur. Da-
durch wurde die regierende Klasse sehr stark und die intellectuelle
Sehr schwach, bloss weil die, welche die Gnaden der Gönnerschaft
vertheilen, natürlich auch die Huldigung empfangen, und wenn auf
der einen Seite die Regierung" immer bereit ist, die Literatur zu
belohnen, so wird auf der andern Seite die Literatur immer bereit
sein, sich der Regierung zu unterwerfen.
Von diesen drei Zeitaltern war das Ludwigls XIV. ohne Ver-
gleich das schlechteste; nur die erstaunliche Kraft des Französi-
schen Volkes machte eine Erholung von den Wirkungen dieses
schwachenden Systems möglich, wie sie diese nachher ausführten.
Ja, sie erholten sich wohl, aber die Anstrengung kam ihnen theuer
zu stehen. Der Kampf währte, wie wir gleich sehen werden, zwei
Generationen lang, und wurde nur durch jene furchtbare Revolution,
die seine natürliche Steigerung war, beendigt. Die wirkliche Ge-
schichte jenes Kampfes werde ich gegen das Ende dieses Bandes
zu ermitteln suchen. Ohne jedoch den Gang der Begebenheiten
vorweg zu nehmen, wollen wir nun zu dem zweiten grossen Cha-
rakterzug der Regierung Ludwigs XIV., dessen ich schon gedacht
habe, fortgehen.
ll. Der zweite intellecte Charakterzug der Regierung Lud-
wig's XIV. steht an Wichtigkeit kaum hinter dem ersten zurück.
Wir haben schon gesehen, dass der Geist der Nation, verkrüppelt
durch die Proteetion des Hofes, den edelsten Wissenszweigen so
entfremdet wurde, dass er in keinem derselben etwas hervorbraehte,
Was der Rede werth wäre. In natürlicher Folge davon flüchteten
sich die Gemüther der Menschen, aus den höheren Wissenszweigen
Vertrieben, in die niedrigeren Gegenstände, wo die Entdeckung der
Wahrheit nicht die Hauptabsicht ist, sondern wo Schönheit der
Form und des AllSdrucks die vorzüglichsten Gegenstände des
Strebens sind. So war die erste Folge der Gönnerschaft Lud-