Bevormundender Geist unter Ludwig XIV.
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Fßrtsßllrittß maßhtef") Um die Mitte des 17. Jahrhunders hatten
die Engländer bedeutende Schritte in der Medicin gethan, die
Therapie war besonders von Sydenham und die Physiologie von
Glisson reformirt worden. 38) Aber das Zeitalter Ludwig's XIV.
kann sich keines einzigen medicinischen Schriftstellers rühmen,
der mit diesen zu vergleichen wäre; ja, nicht eines einzigen, dessen
Name jetzt noch bekannt wäre durch irgend eine besondere Ver-
mehrung unserer Kenntnisse. In Paris war die medicinische Praxis
offenkundigermassen hinter der in den Hauptstädten Deutschlands,
Italiens und Englands zmück und in den Französischen Provinzen
war die Unwissenheit selbst der besten Aerzte scandalösfi") ja
man kann ohne Uebertreibung sagen, während dieser ganzen langen
Periode leisteten die Franzosen in diesen Dingen verhältnissmässig
gar nichts; sie leisteten keinen Beitrag zu der klinischen Lite-
raturßo) kaum einigen zu der therapeutischen, pathologischen, phy-
siologischen oder anatomischen")
i") „Der berühmteste Chirurg des 17. Jahrhunderts war Ambroise Pare. Von der
Zeit Parifs bis zum" Anfange des 18. Jahrhunderts wurde die Chirurgie in Frankreich
nur wenig gefördert. Mauriceau, Saviard und Belloste waren die einzigen Französi-
schen Aerzte von einiger Auszeichnung, die man so vielen berühmten Männern anderer
Nationen an die Seite stellen könnte. Während des 18. Jahrhunderts brachte Frank-
reich zwei Aerzte von ausserordentlichem Genie hervor, es sind Petit und Desault."
Bowmanäs Suryery in Encyclop. qf medical sciences, 829, 830.
33) Uebcr Sydenham's Verdienste braucht man keine Zeugnisse beizubringen; sie
sind allgemein anerkannt; was aber vielleicht weniger allgemein bekannt ist, ist, dass
Glisson jene wichtigen Ansichten über Irritabilität vorwegnahm, welche später von
Heller und Gorter entwickelt wurden. Vergleiche Renouard, Hist. de la mädecivze
Il, 192; Elliotson-Ös Human pkysiol. 471; Bordas Demoulißz, Uariäsianisone I, 170;
in Wagner-Es Physiol. 655 wird diese Theorie zu ausschliesslich Haller zugeschrieben.
3") Hierüber haben wir viele Klagen von Fremden, die Frankreich besuchten.
Ich führe nur das Zeugniss eines berühmten Mannes an. 1699 schreibt Addison von
Bleis: "Ich bediente mich der Aerzte dieses Orts, die so wohlfeil sind, als unsere
englischen Thierärzte, und im Ganzen auch ebenso unwissend, Ailcinäs Life of Ad-
dison I, 74,
40) Ja Frankreich war das letzte grosse Land in Eiuopa, wo ein Lehrstuhl der
klinischen Medicin errichtet wurde. Renouard, Hist. de Zu mädecine II, 312; Bouil-
laud, Plailos. midicale, 114.
H) Bouillaud, Pliilos. mädic. 13, nennt in seinem Bericht über den Stand der
Medicin im 17. Jahrhundert keinen einzigen Franzosen. Lange Zeit besass die Fran-
zösische Academie unter der Regierung Ludwigs XIV. nur einen Anatom, und Wenige
Physiologen haben jemals seinen Namen gehört. "M du Verney fut assez lang temps
lc seul analomist de Pacademie, et ce m fut qu'un 1684 qu'on lui jbignzLMr. Mercy."
Eloye de Du Vernet in Oeuv. de Fontmelle VI, 392.