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Bevormundender Geist unter Ludwig XIV.
nachgiebt, muss die unvermeidliche Folge Despotismus in der Politik
und Servilität in der Literatur sein. Dies war die Geschichte Frank-
reichs unter Ludwig XIV., und dies, das können wir versichert
sein, wird die Geschichte eines jeden Landes sein, das sich ver-
sucht fühlen sollte, ein so verführerisches, aber so verhangnissvolles
Beispiel nachzuahmen.
Der Ruf Ludwigs XIV. entsprang aus der Dankbarkeit der
Schriftsteller, wird aber jetzt durch die populär gewordne Meinung
unterstützt, dass die berühmte Literatur seiner Zeit vornehmlich
seiner Piiege zuzuschreiben sei. Wenn wir jedoch diese Meinung
untersuchen, so werden wir finden, dass sie, wie so manche von
den Ueberlieferungen, wovon die Geschichte voll ist, gänzlich alles
Grundes entbehrt. Wir werden zwei Hauptverhältnisse finden, welche
beweisen, dass der literarische Glanz seiner Regierung nicht die
Folge seiner Anstrengungen, sondern das Werk der grossen Gene-
ration war, welche ihm voraufging, und dass der Französische
Geist von seiner Freigebigkeit so wenig Nutzen hatte, dass er viel-
mehr durch seine Gönnerschaft gehemmt wurde.
I. Das erste ist, dass dem ungemein grossen Antrieb, der
unter der Verwaltung von Richelieu und Mazarin den höchsten
Wissenszweigen zu Theil geworden war, plötzlich Einhalt gethan
wurde. Im Jahr 1661 übernahm Ludwig XIV. die Regierung, 11)
und von dem Augenblick an bis zu seinem Tode im Jahre 1715
ist die Geschichte Frankreichs, so weit sie grosse Entdeckungen
betrifft, ein leeres Blatt in den Annalen Europas Wenn wir alle
vorgefassten Meinungen über die angebliche Glorie dieses Zeitalters
bei Seite setzen, und die Sache unparteiisch untersuchen, so wird
sich zeigen, dass in jedem Wissenszweige ein entschiedener Mangel
an originalen Köpfen war. Es findet sich in dieser Zeit vieles,
was elegant, vieles, was anziehend war. Den Sinnen der Menschen
wurde geschmeichelt und schön gethan durch die Schöpfungen der
Kunst, durch Gemälde, Paläste und Gedichte. Aber kaum irgend
etwas wurde der Summe des menschlichen Wissens hinzugefügt.
Wenn wir die Mathematik und die gemischten Wissenschaften,
worauf sie sich anwenden lasst, nehmen, so wird man allgemein
zugestehen, dass ihre glücklichsten Bearbeiter in Frankreich wäh-
rend des 17. Jahrhunderts Descartes, Pascal, Fermat, Gassendj und
41) "Die erste Periode
ßgue, Louis XIV. I, 4.
XIV.
Regierung Ludwig's
der
fängt also
1661
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Capo-