Bevormundender
Geist unter Ludwig XIV
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würden wir verhungerte Philosophen, im andern reiche Narren
werden. Nun liegt es auf der Hand, und entspricht den gemeinsten
Grundsätzen menschlicher Thatigkeit, dass die Verhaltnisszahl beider
Klassen sich durch die natürliche, oder wie wir sagen, selbstthätige
Bewegung der Gesellschaft ohne Anstrengung ergeben wird. Wenn
aber eine Regierung sich mit der Pensionirung von Schriftstellern
befasst, so stört sie diese Bewegung und bringt Unordnung in die
Harmonie der Dinge. Dies ist die unvermeidliche Folge jenes
Geistes der Einmischung, oder wie man ihn auch nennt, der Bevor-
mundung, der allen Völkern das grösste Uebel zugefügt hat. Setzte
man z. B. von Staatswegen einen Fond aus, um Fleischer und
Schneider daraus zu belohnen, so würde die Zahl dieser nützlichen
Leute sich ohne Zweifel unnöthig vermehren. Und wenn ein Fond
für den Stand der Literatoren bestimmt wird, so werden eben so
gewiss die Schriftsteller sich schneller vermehren, als es die Be-
dürfnisse des Volks erfordern. In beiden Fällen bringt eine künst-
liche Anregung eine ungesunde Thatigkeit hervor. Gewiss sind
Nahrung und Kleidung so nothwendig für den Körper, als die
Literatur für den Geist; Warum sollten wir denn die Regierung auf-
fordern, die mehr zu unterstützen, die unsere Bücher schreiben, als
die unsere Hammel schlachten und unsere Kleider ausbessern? In
Wahrheit ist der geistige Gang der Gesellschaft in dieser Hinsicht
ihrem physischen völlig entsprechend. In einigen Fällen mag wirk-
lich ein erzwungenes Angebot eine unnatürliche Nachfrage erzeugen,
aber dies ist ein künstlicher Zustand, der von einer krankhaften
Thätigkeit zeugt. Bei gesundem Zustande erzeugt nicht das An-
gebot die Nachfrage, sondern umgekehrt die Nachfrage das Ange-
bot. Also anzunehmen, dass eine Vermehrung vonSehriftstellern
nothwendig eine Ausbreitung von Kenntnissen zur Folge haben
werde, ist, als wenn wir annehmen Wollten, eine Vermehrung von
Fleischern müsse eine Vermehrung der Nahrung zur Folge haben.
Dies ist nicht die Ordnung der Dinge. Man muss Hunger haben,
ehe man isst, man muss Geld haben, ehe man kauft, man muss
lernbegierig sein, ehe man liest. Die zwei grossen Triebfedern,
Welche die Welt bewegen, sind der Trieb nach Reiehthum und der
Trieb nach Kenntnissen; diese beiden Triebfedern vertreten und
regieren die beiden wichtigsten Klassen, in die sich jedes civili-
Siftß Land theilt. Was eine Regierung einer von diesen Klassen
giebt, muss sie der andern wegnehmen, was sie der Literatur giebt,
MUSS Sie dem Reichthum nehmen. Dies kann nie in einer grossen