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Die
bevormundenden
Kraft des
Geistes
Könige die Serviette zu überreichen, wenn er bei Tische sassfl)
und wer das unschätzbare Vorrecht, der Königin ein anderes Hemd
anzuziehen. 78)
Vielleicht denkt Mancher, ich schulde dem Leser eine Abbitte
dafür, dass ich ihm diese elenden Zwistigkeiten über Angelegen-
heiten aufgezwungen, die, so verächtlich sie jetzt erscheinen mögen,
einst von Leuten, die nicht ganz von allem Verstande entblösst
waren, hoch angeschlagen wurden. Aber es ist zu bedenken, dass
ihr Vorkommen, und vor Allem das Gewicht, das man auf sie legte,
einen Theil der Geschichte des Französischen Geistes bildet, und
man muss sie daher nicht nach ihrem innern Werthe, sondern nach
der Belehrung schätzen, welche sie uns über einen Zustand der
Dinge, der jetzt vorüber ist, gewähren. Vorgänge dieser Art wer-
den zwar von gewöhnlichen Geschichtsschreiber-n vernachlässigt,
gehören aber zu den Hauptmitteln des Historikers. Sie helfen
nicht nur die Zeit, der sie angehören, zur Anschauung bringen, son-
dern sind auch unter einem philosophischen Gesichtspunkt von der
höchsten Wichtigkeit. Sie bilden einen Theil des Stoffes, aus dem
wir die Gesetze jenes bedeutenden bevormundenden Geistes, der
in verschiedenen Perioden verschiedene Gestalt annimmt, ableiten
können, der aber, was auch immer seine Form sein mag, seine
lllaeht allemal dem Gefühl der Verehrung im Gegensatz zu dem
Unabhangigkeitsgefühl verdankt. Wie natürlich diese Macht auf
gewissen Stufen der Gesellschaft ist, wird einleuchtend, wenn wir
die Grundlage betrachten, auf welcher die Verehrung selbst beruht.
Die Verehrung entspringt aus Bewunderung und Furcht. Diese
77) Poutchartrain, einer der Staatsminister, schreibt unter dem Jahr 1620: „En
ce mäme iemps s'e'ioz't m22 1m trZ-s gmnd difärevzt entre M. Z0 Prinoc de Oondä et III.
Ze Uomta de Soissons, sur Ze sujet de Zd serviette, que vhavml (l'eau: prätendoit devoir
präsenter du Roi, qmmd ils se rencontroiant tous deux prEs sd mdjestei" Mäm. de
Pontolzdrtrain II, 295. Le Vassor, der einen ausführlicheren Bericht giebt, sagt
Räym de Louis XIII. III, 536, 537: „Clzaczm des deux princes du sang fort
ächdufez, ä qui feroit um fonction de maitre Jkötel, tiroit Zu serviette de scm cötä, et
ld comfestdtion augmcnioit d'une mdniöre, dont les suites pazwoieazt devmir fdclzeuses."
Aber der König schlug sich ins Mittel „z'ls furent donc obliyez de ceder: nzais es ne
fut pas sans se dire l'un ä l'autre des paroles kautes et mänagaoztes."
78) Nach Einigen musste der Mann Herzog sein, ehe seine Gemahlin sich mit dem
Hemde der Königin befassen durfte. Nach Andern hatte die erste Hofdame, wer sie
auch sei, das Recht, wenn keine Prinzessin zugegen war. Ueber diese Bedingungen,
und über die Schwierigkeiten, die dadurch entstanden, vergl. Mäm. de Saint-Sianon,
1842, VII, 125 mit Mäm. de Mottwille II, 28, 276, 277.