England und Frankreich.
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gebracht habenfi?) darüber kann kein Zweifel sein, dass sie thätig
dazu beigetragen hat, die Menschen in einem Zustande der Bevor-
mundung zu erhalten, und dass sie dem Fortschritt der Gesellschaft
im Wege gestanden, weil sie die Zeit ihrer Kindheit verlängerteßß)
Daher ist es offenbar, mögen wir auf die unmittelbare oder
auf die entferntere Tendenz des ltitterthums sehen, dass seine
Stärke und seine Dauer uns einen Maassstab für die Herrschaft
des bevormundenden Geistes geben. Wenn wir unter diesem Ge-
sichtspunkt Frankreich mit England vergleichen, finden wir eine
weitere Abweichung beider Länder von einander. Die Tourniere,
der erste offene Ausdruck des Ritterthums, sind Französischen
Ursprungsßtl) Die grössten, ja die beiden einzigen grossen Schil-
derer des Ritterthums sind Joinville und Froissart, und beide waren
Franzosen. Bayard, der berühmte Ritter, der immer als der letzte
Repräsentant des Ritterthums angesehen wird, war ein Franzose,
und fiel im Kampfe für Franz I. Und es dauerte noch fast
40 Jahre nach seinem Tode, bis die Turniere in Frankreich schliess-
lich abgeschafft wurden. Das letzte wurde 1560 gehalten. 65)
Aber in England, wo der bevormundende Geist viel weniger
thätig war als in Frankreich, müssen wir auch einen geringeren
M) Manche Schriftsteller schreiben dem Ritterthum das Verdienst zu, die Sitten
gemildert und den Einfluss der Frauen gehoben zu haben. Sainte-Playe, Mäm. sur
Zu chevalerie I, 220-23, 282, 284; III, S. VI, VII, 159-161; Helvetius, De Fäsprit
II, 50, 51; Schlegels Lectures I, 209. Dass diese Richtung vorhanden ist, scheint
mir unzweifelhaft; sie ist aber sehr übertrieben dargestellt worden, und ein Schrift-
steller, der über diese Gegenstände viel gelesen hat, sagt: „Die rohe Behandlung der
Kriegsgefangenen in alten Zeiten ist ein starker Beweis für dieuWildheit und die
uncivilisirten Sitten unserer Vorfahren; und diese Behandlung widerfuhr sogar Damen
von hohem Renge, trotz der Huldigung, die man in jenen Tagen des Ritterthums dem
schönen Geschleehte bewiesen haben soll." Groseis Military antiquities II, 114;
Muoming, On tke Zaw rfmztiovzs, 1839, S. 145, 146.
63) Hallam, Middle ages II, 464, sagt: "Noch einen dritten Vorwurf kann man
dem Charakter des Ritterthums machen, dass es die Kluft zwischen den verschiedenen
Klassen der Gesellschaft erweiterte, und den aristokratischen Dünkel vornehmer Geburt
stärkte, durch den die grosse Masse der Menschen in Erniedrigung gehalten wurde."
64) Sismondi, IV, 370,371, 377; Tumefs Hist. qf Englanddv, 488; Fonce-
magne, De Vorigine des armoiries in Mäm. de Facad. des insßripiiona XXII, 530; "auch
Koch sagt: Tabl. des rävolutions I, 139: "c'est de ld Framce, qm: l'usage des tournois
se röpandit chez las aulres nations de l'Europe." Sie wurden zuerst in England ein-
geführt unter der Regierung Stephans Lingards England II, 27.
65) Hallam, Middle reges II, 470 sagt: "sie hörten in Frankreich gänzlich auf in
Folge des Todes Heinrichs II. aber nach Jlßlill! Hist. qf chivalry II, 226 dauerten