Achtes
Kapitel.
Umriss
der
Geschichte des Französischen Geistes von der Mitte
bis zum Regierungsantritt Ludwigfs XIV.
des
1 6. Jahrhunderts
Die Rücksicht auf die grossen Veränderungen im {Englischen
Geiste führten zu einer Abschweifung, die aber dem Zwecke dieser
Einleitung nicht fremd, ja, die zu seinem richtigen Verstandniss
durchaus nothwendig ist. In dieser, wie in mancher andern Hin-
sieht besteht eine entschiedene Analogie in den Untersuchungen
über den Bau der Gesellschaft und denen des menschlichen Körpers.
So hat sich's gezeigt, dass man am besten zu einer Theorie der
Krankheit gelangt durch eine Theorie der Gesundheit; und dass
die Grundlage aller vernünftigen Pathologie vor allen Dingen in
einer Beobachtung der normalen, nicht der abnormen Lebens-
functionen gesucht werden muss. Ebenso, glaub' sich, wird die
beste Methode, grosse gesellschaftliche Wahrheiten aufzufinden, die
sein, dass man zuerst solche Fälle in Betracht zieht, wo die Ge-
sellschaft sich nach ihren eigenen Gesetzen entwickelt hat, und in
denen die Regierungsgewalt sich dem Zeitgeist am wenigsten
widersetzt hat. 1) Darum habe ich, um die Lage Frankreichs zu
1) Die Frage, 0b das Studium der normalen Erscheinungen dem der abnormen
vorhergehen sollte oder nicht, ist von der grössten Wichtigkeit, und ihre Vernach-
lässigung hat Verwirrung in alle Bücher gebracht, die ich über allgemeine oder ver-
gleiehende Geschichte gesehen habe. Da diese vorgängige Frage unbeantwortet blieb,
so gab es kein anerkanntes Prineip der Anordnung; und statt eine wissenschaftliche
ltiethode zu befglgen, die den wirklichen Bedürfnissen unserer Erkenntniss angemessen
war, haben die Historiker eine empirische Methode je nach ihrem eignen Bedürfniss
angenommen und verschiedenen Ländern den Vortritt eingeräumt, bald wegen ihres
Umfangs, bald wegen ihres Alters, bald Wegen ihre? Seogmllhisßhell Lage, bisweilen
wegen ihres Reichthums, bisweilen wegen ihrer Religion, bisweilen Wegen des Glanzes
ihrer Literatur und manchmal sogar Wegen der Leichtigkeit der Stodsammlung für
den Geschichtsehreiber selbst. Dies alles sind gemachte Rücksiehten; aus Wissenschaft-
liehen Gründen sollte odenbar der Historiker nur den Ländern den ersten Platz ein-
räumen, deren Geschichte am leichtesten auf allgemeine Principien zu ziehen ist, und
Buckle, Gesch. d. Civilisation. I. 2. 1