106
Geschichte
des bevonnundenden
Geistes
die bei uns mit Erfolg gehemmt wurde, machte sich in Frankreich
fast allgemein. 31) Die grossen Lehnsherren hatten auf diese Weise
unter der Bedingung der Lehnstreue und anderer Dienste an ge-
wisse Personen Land verliehen, und diese verliehen es Wieder;
d. h. sie überliessen davon unter ähnlichen Bedingungen an andere
Personen und diese hatten wieder dieMacht, es an vierte Personen
und so in's Unendliche fort zu verleihen. ü) So bildete sich eine
lange Kette von Abhängigkeit; und die Unterordnung ofganigiftß
sich so zu sagen in ein Systemßii) In England hingegen waren
solche Einrichtungen dem allgemeinen Zustande der Dinge so zu-
wider, dass es zweifelhaft ist, 0b sie je in irgend einem Grade
eingeführt wurden. Jedenfalls ist es gewiss, unter der Regierung
Eduard's I. wurde ihnen schliesslich Einhalt gethan, durch das
Statutargesetz, welches den Juristen unter dem Namen Quia empto-
res bekannt ist. 34)
So früh schon zeigt sich eine grosse sociale Abweichung Frank-
reichs von England. Die Folgen davon traten noch deutlicher
hervor, als im 14. Jahrhundert das Lehnswesen in beiden Ländern
rasch in Verfall gerieth. Denn in England war das Prinzip des
Schutzes schwach; die Menschen waren bis zu einem gewissen
Grade an Selbstregierung gewöhnt, und so konnten sie die grossen
Institutionen behaupten, die sich zu den mehr unterwürfigen Sitten
des Französischen Volkes schlecht gepasst haben würden. Unsere
municipalen Rechte, die Rechte der Freisassen und die Sicherheit
der Erbzinslehen (copyholders) waren vom 14. bis zum 17. Jahr-
hundert die drei bedeutendsten Bürgschaften für die Freiheiten
Englands. 35) In Frankreich waren solche Garantieen unmöglich;
34) Hallamäe Middle ages I, 111.
32) "Ursprünglich gab es keine Grenze für Afterlehen fsubinfeudationj." Brouy-
kann's Polit. philos. I, 279.
33) Ein noch lebender Französischer Schriftsteller rühmt, dass in seinem Vater-
lande Utoute la sociätä febdale _formaz't ainsi um ächelle de clientelle et de patronage."
Oussagnac, Rävolution frangaise I, 459.
34) Dies ist: Jahr 18. Eduard I, G. l. Darüber siehe Blackstonelv Comment.
II, 91; IV, 425; Rcemfs Hist. of English law, II, 223; Dalrymplefs Hist. offeudal
property 102, 243, 340.
35) Die Geschichte und der Verfall des einst so bedeutenden Standes der Eng-
lischen Freisassen (yeamanry) ist ein interessanter Gegenstand. Ich habe ziemlich
viel Steif dazu gesammelt; hier will ich nur sagen, dass sein Verfall zuerst deutlich
bemerkbar wird in der letzten Hälfte des 17. Jahrhunderts und reissend schnell voll-
endet wurde durch die wachsende Macht der handelnden und industriellen Klassen im