36
Einfluss der Naturgesetze.
Fortschritt der Erkenntniss bilden. Und da in der Kindheit eines
Volks die Macht dieser abergläubischen Vorstellung souverän ist,
so hat die verschiedene Naturbesehaffenheit auch verschiedene Na-
tionalcharaktere erzeugt und der Nationalreligion eine Färbung ge-
geben, Welche unter gewissen Verhältnissen unerlösohlich ist. Die
andern drei Einflüsse, das Klima, die Nahrung und der Boden,
haben, so viel wir sehen, keine so unmittelbare Wirkung dieser
Art gehabt; aber sie haben, wie ich sogleich zeigen werde, den
bedeutendsten Eindruck auf die Einrichtung der Gesellschaft ge-
macht, und aus ihnen sind manche der umfassenden und hervor-
stechenden Unterschiede der Völker entsprungen, die man oft dem
Racenuntersehiede, wornach man die Menschheit eintheilt, zuge-
schrieben hat. Während aber diese ursprünglichen Racenunter-
schiede nichts als Hypothesent) sind, lassen sich die Verschieden-
heiten als Wirkungen des verschiedenen Klimas, der Nahrung und
des Bodens befriedigend erklären, und mittelst dieser Einsicht wer-
den sieh manche Schwierigkeiten, welche das Studium der Geschichte
bisher verdunkelt, aufklären. Ich will daher zuerst die Gesetze
dieser drei bedeutenden Natureinflüsse auf den Menschen und seine
gesellige Lage untersuchen; wenn ich die Wirkung dieser Gesetze
so deutlich nachgewiesen, wie es der gegenwärtige Stand der Natur-
wissenschaft erlaubt, so werde ich viertens die Naturerscheinung
im Ganzen in Betracht ziehn und die wichtigsten Unterschiede nach-
zuweisen suchen, die sie in verschiedenen Ländern ganz natürlich
hervorgebracht.
Beginnen wir also mit dem Klima, der Nahrung und dem Boden.
Es liegt auf der Hand, dass diese drei Naturmäehte in nicht ge-
4) Ich unterschreibe mit Vergnügen die Bemerkung eines der grössten Denker
unsrer Zeit, der über die Annahme der Raeenuntersehiede sagt: „Von allen Arten ge-
meiner Ausdüchte, womit man sich der Betrachtung entzieht, welche Wirkung sociele
und sittliche Einflüsse auf den Geist des Menschen haben, ist die gemeinste die, dass
man die Verschiedenheiten im Betragen und Charakter inwohnenden natürlichen Unter-
schieden zuschreibt." MilPs Principles of Political Econoany. V01. I. p. 390. Ge-
wöhnliche Schriftsteller verfallen fortdauernd in den Irrthum, diesen Unterschied als
eine Thatsaehe anzunehmen; wenn er existirt, so ist er wenigstens ganz gewiss nie
bewiesen werden. Merkwürdige Beispiele dieser Art finden sich in Alisovfs Ilistory
qf Europa, V01. II, 336, Vol. IV, 136, V01. VIII, 525, 526, V01. XIII, 347; wo dieser
Geschiehtsehreiber meint, mit einigen Federstriehen eine Frage der sßhwierigsten Art,
wie diese, die mit den verwickeltsten Problemen der Physiologie zusammenhängt, zu
lösen. Ueber die angenommene Beziehung zwischen Race und Temperament Comte
Philosophie positive, Vol. III, 355.