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16. bis zum
18. Jahrh.
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schaft zu deduciren, die für die Handels- und Finanzinteressen des
Landes brauchbar wäre. Weiter wollte er nicht gehen, denn er
wusste, dass mit dieser einzigen Ausnahme alle andern Zweige
der Politik völlig empirisch wären und es wahrscheinlich noch
lange bleiben würden. Daher erkannte er die grosse Lehre in
ihrer ganzen Tragweite an, die selbst in unsern Tagen noch zu
oft vergessen wird, dass der Zweck des Gresetzgebers nicht die
Wahrheit, sondern die Zweckmässigkeit sein müsse. Hinsichtlich
des Zustandes der Wissenschaft musste er zugeben, dass alle politi-
schen Principien aus eiliger Herleitung von wenigen Thatsachen
abgezogen sind, und dass es daher weise ist, wenn man neue That-
sachen hinzufügt, die Ableitung zu revidiren und statt die Praxis
den Principien zu opfern, seine Principien zu modificiren, um die
Praxis zu ändern. Oder, um dies anders auszudrücken, er sagt,
Principien sind im besten Fall nur das Ergebniss der menschlichen
Vernunft, während die politische Praxis mit der menschlichen Natur
und menschlichen Leidenschaften zu thun hat, von denen die Ver-
nunft nur einen Theil ausmacht, 29 1) und deshalb ist das wahre
Geschäft des Staatsmannes, die Mittel aufzufinden, wodurch gewisse
Zwecke erreicht werden, und es der allgemeinen Stimme des Volks
zu überlassen, diese Zwecke zu bestimmen, und sein Betragen
nicht nach seinen Principien einzurichten, sondern nach dem Wunsche
des Volks, für das er Gesetze giebt, und dem zu gehorchen seine
Pflicht istß")
99') „Die Politik sollte nicht der menschlichen Vernunft, sondern der mensch-
lichen Natur, von der die Vernunft nur einen Theil und keineswegs den grössten
bildet, angepasst werden." Observations an the stufe of the nation in Burkds Werks
I, 113. Daher der Unterschied, den er immer im Auge behielt, zwischen den Ge-
danken der Philosophie, die unantastbar, und denen der Politik, die schwankend sein
müssten, und daher sagt er in seinem schönen Werk Wmughta on tlze muse of the
present disoovztents I, 136: "Für bürgerliche und politische Klugheit lassen sich keine
Regeln geben. Sie sind nicht genau zu definiren." Siehe auch 151, worauf er seine
Vertheidigung des Parteigeistes gründet. Wäre Wahrheit der Hauptgegenstand der
Politik, so liesse sich die Idee der Partei als solche nicht vertheidigen. Vergl. hier-
mit den Unterschied "der Wahrheit an sich" und „ der soeialen Wahrheit" von Rey
in seiner Science saciale II, 322, Paris 1842.
1780 sagte er dem Unterhause mit dürren Worten, „das Volk wäre der Herr.
Es habe nur seine Bedürfnisse im Allgemeinen und im Groben auszudrücken." "Wir
sind," sagt er weiter, "die erfahrenen Künstler; wir sind die geschickten Arbeiter,
ihre Wünsche in eine vollkommene Form zu bringen und das Geräth zum Gebrauch
herzurißhten. Die Bürger fühlen das Leiden, sie sagen uns die Symptome der Krank-