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der
Hülfsquellen bei
Geschichtsforschung.
seltenes Zusammentreffen günstiger Umstände erfordert, auf die der
Verbrecher gemeiniglich zu warten hat; dass er also seine Zeit
wahrzunehmen und sich nach Gelegenheiten uinzusehen hat, die
nicht inseiner Gewalt sind; dass im Augenblick der Entscheidung
er vielleicht nicht das Herz zur That haben mag; dass die Frage,
ob er das Verbrechen begehen soll oder nicht, zwischen streiten-
den Beweggründen in der Schwebe gehalten werden mag, wie der
Furcht vor dem Gesetz, vor den Strafen, welche die Religion droht,
der Stimme seines Gewissens, der Furcht vor Gewissensqualen
nach der llhat, der Gewinnsucht, der Eifersucht, der Rachsucht,
der Verzweiflung; wenn wir dies Alles zusammenfassen, so ent-
steht eine solche Verwickelung von Ursachen, dass wir mit Recht
daran verzweifeln mögen, irgend eine Ordnung und Methode zu
entdecken in dem Ergebniss dieser feinen und unsteten Antriebe,
wodurch der Mord entweder bewirkt oder verhütet wird. Wie aber
liegt nun die Sache? Es ist Thatsache, dass der Mord mit so viel
Regelinassigkeit begangen wird, und ein eben so gleichmässiges
Verhaltniss zu gewissen bekannten Umständen hat, wie die Be-
wegungen von Ebbe und Fluth und die Folge der Jahreszeiten.
Herr Quetelet, der sein Lebelang die Statistik der verschiedenen
Länder gesammelt und methodisch geordnet hat, giebt als Ergebniss
seiner lleissigen Forschungen an, dass „in Hinsicht der Verbrechen
dieselben Zahlen mit einer unverkennbaren Stetigkeit wiederkehren;
und dass dies selbst mit solchen Verbrechen der Fall ist, welche
von menschlicher Berechnung ganz unabhängig zu sein scheinen,
z. B. mit Morden, die gewöhnlich" nach Streitigkeiten begangen
werden, welche aus scheinbar zufalligen Umständen entspringen.
Dennoch wissen wir aus Erfahrung, dass jedes Jahr nicht nur fast
dieselbe rlnzahl Morde stattfinden, sondern dass sogar die Instru-
mente, mit denen sie verübt werden, in demselben Verhältniss ge-
braucht werdenß") So sprach 1835 der anerkannt erste Statisti-
ker in Europa, und jede folgende Untersuchung hat die Richtigkeit
des Gesagten bestätigt. Denn spätere Forschungen haben die ausser-
ordentliche Thatsache festgestellt, dass die gleichförmige Wieder-
kehr der Verbrechen deutlicher hervorgehoben und besser vorher-
zubestimmen ist, als die Naturgesetze, von welchen die Krank.
heit und Auflösung unseres Körpers abhängt. So ist z. B. die Zahl
der Personen, welche in Frankreich zwischen 1826 und 1844
Quetelet Saa-
l'homme,
Paris
1835,
vol.
247.
1641