der Gesehichtsforschung.
Hülfsquellen Bei
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ich z. B. genau mit dem Charakter eines Menschen bekannt bin,
kann ich oft sagen, wie e1' unter gewissen Umständen handehi
wird. Sollte meine Vorhersagung irrig ausfallen, so muss ich mei-
nen Irrthum nicht der Willkür und Laune seiner Willensfreiheit zu-
schreiben, eben so Wenig einer übernatürlichen Vorherbestimmung,
denn für keins von Beiden haben wir den geringsten Beweis, son-
dern ich muss mich damit begnügen anzunehmen, entweder dass
ich über einige von den Umständen, in denen er sich befand, falsch
berichtet worden, oder dass ich seine gewöhnliche Geistesthätigkeit
nicht hinlänglich studirt. Wäre ich hingegen richtig zu urtheilen
im Stande und hätte zugleich eine vollständige Kenntniss seiner
Gemüthsverfassung und aller Vorgänge, in deren Mitte er sich be-
funden, so würde ich sein Betragen als eine Folge dieser Vorgänge
vorhersehen könnenJ s)
Wir verwerfen also sowohl das metaphysische Dogma von der
Willensfreiheit"), als das theologische von der Vorherbestimmung
obachtung nicht bestätigt werden können. In Rücksicht jedoch auf die wissenschaft-
lichen Begriffe des Verstandes (im Unterschiede von der Vernunft) giebt er die Existenz
einer Nothwendigkeit, in der die Freiheit vernichtet wird, zu. In Note A am Ende
dieses Kapitels werde ich die wichtigsten Stellen, Worin Kant diese Ansicht entwickelt,
zusammenstellen.
48) Dies ist natürlich nur eine Hypothese und nur zur Erläuterung gegeben. Wir
können nie eines Menschen ganze Vergangenheit erfahren, nicht einmal unsere eigene voll-
ständig; aber es ist gewiss, je näher wir uns einer vollkommenen Kenntniss des Vor-
hergegangenen bringen, desto wahrscheinlicher wird es, dass wir das Folgende vorher
bestimmen können.
m) Die Lehre vnn der göttlichen Vorsehung hängt mit der Vorherbestimmung zu-
sammen; die Gottheit, die Alles vorhersieht, muss auch ihre eigene Absicht einzugrei-
fen vorhergesehen haben. Leugnet man diese Vorsehung, so beschränkt man ihre All-
wissenheit. Wer also annimmt, dass in besonderen Fällen eine besondere Vorsehung den
gewöhnlichen Lauf der Ereignisse unterbricht, muss auch annehmen, dass ein jeder
Fall der Art vorher-bestimmt worden; sonst greift er eine der göttlichen Eigenschaften
an. Denn nach Thomas Aquinas (Neomd. Kirchengeselt. Bd. 8): "Wissenschaft als
solche schliesst in der That keine Urheberschaft ein; sofern es aber eine Wissenschaft
des bildenden Künstlers ist, steht sie im Verhältniss von Ursache zu dem, was seine
Kunst hervorbringt."
Eben so urtheilt Alciphrou, obgleich weniger einleuchtend, Dialogue VII, sec. 20
in Berkelegfs Works vol. I, p, 515 über die Unmöglichkeit, dass Allwissenheit eine
neue Kenntniss oder nachträgliche Gedanken haben könne, siehe HitckcockKs Religion
of geology, 1851, p. 267, 328, ein talentvolles Buch, welches aber alle die wahren
Schwierigkeiten unberührt lässt. Vergl. Ritterie Gesck. der alten Phil. Bd. IV, S. 326,
327, mit Tennemann, Gesck. der Phil. Bd. IV, S. 151, 342-345, Bd. IX, S. 81-94,
Bd. XI, S. 178; und besonders die Frage, die Bd. VIII, S. 242 aufgeworfen Wird:
Buckle, GCSClh d. Civllisation. I. 2