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der
Hülfsquellen bei
Geschichtsforschung.
für sie, bis jetzt wenigstens, noch keinen stichhaltigen Beweis vor-
gebracht. Sie wollen uns glauben machen, der Schöpfer, dessen
Güte sie zugleich willig zugeben, habe dessenungeachtet einen
willkürlichen Unterschied zwischen Erwahlten und Verworfenen ge-
macht; dass er von Ewigkeit 11er noch ungebornc Millionen, die
nur seine That hervorbringen kann, verdammt habe, und dass er
dies nicht aus Gerechtigkeit, sondern aus blosser despotischer Laune
gethanß) Diese Lehre verdankt ihre Geltung unter Protestanten
dem finstern aber mächtigen Geiste Calvins: in der älteren Kirche
wurde sie zuerst methodisch und systematisch von Augustin nieder-
gelegt, der sie von den Manichaeern geborgt zu haben scheint")
Abgesehen von allen andern Begriffen, die eine fundamentale Gel-
tung haben] o) muss diese Lehre in einer wissenschaftlichen Un-
tersuchung jedenfalls als eine unfruchtbare Hypothese betrachtet
werden. Sie liegt über den Gesichtskreis unsers Wissens hinaus,
und so fehlen uns alle Mittel sie zu prüfen und als wahr oder
falsch zu erweisen.
Die andre Lehre, welche lange unter dem Namen des freien
Willens gefeiert worden, hängt mit dem Arminianismus zusam-
men, gründet sich aber in Wahrheit auf den metaphysischen Satz,
dass das menschliche Selbstbewusstsein (conscioznvness) das höchste
sei. Jeder Mensch, wird gesagt, fühlt und weiss, dass er ein
freies Wesen ist, und auch die scharfsinnigsten Ausführungen kön-
3) Selbst Ambrosius, der nie so weit ging als Augustin, spricht den Satz in sei-
ner empörenden Nacktheit aus: "Baus quos dignat vocat, quos malt rclzyiosos facit."
Neamder IV, S. 287. Calvin erklärt, "dass Gott, indem er von Ewigkeit her einen
Theil der Menschheit zur ewigen Seligkeit, den andern zu ewiger Verdammniss prä-
destinirt, zu dieser Scheidung keinen andern Beweggrund als sein Wohlgefallen und
seinen freien Willen hatte." Moslteiwüs Kirchengeschichte Bd. II, und Oarwitherfs
Hist. of the clmrch of England vol. I, p. 552.
9) Ueber den Manichaeischen Ursprung der Ansichten Augustizfs vergl. Futter,
Esprit de Väglise vol. II, p. 171, Paris, 1821; Torul-inzfs Rdutation of calviniam,
1817, p. 571- 576; Suuthegfs Book of the church, 1824, vol. I, p. 301, 302; Mat-
ter, Hist. du gnosticisme, 1828, vol. I , p. 325. Hingegen Beausobre (Hist. de Ma-
nichäe, vol. II, p. 33-40) scheint einen Unterschied zwischen der Gnndenwahl
Augustin's und der von Basilides nachgewiesen zu haben.
i") Ueber die Abgeschmacktheit "einer allmächtigen willkürlichen Gottheit", und,
über die Unverträglichkeit einer solchen Zusammenstellung mit dem, was cpüaa xalöv
um? ölxruov (von Natur recht und gut) ist, siehe Oudwortlfs Intelleot. syat. vol. I, 45.
419. vol. III, 241. vol. IV, 160. Tkeodicee, Kanfs Werke vol. VI, 141, 142 und
Metaphysik der Sitten vol. V, 332 "über den göttlichen Zweck in Ansehung des
menschlichen Geschlechts."