260
der Geschichte
Ursprung
und Zustand
Ausdehnung, in der dies getrieben wurde, wäre ein interessanter
Gegenstand der Untersuchung; ein oder zwei Beispiele mögen je-
doch den meisten Lesern genügen.
Ueber den ältesten Zustand der nordischen Völker haben wir
wenig gewisse Nachricht; aber es sind noch verschiedene Gesänge
erhalten, in denen die Skandinavischen Dichter die Thaten ihrer
Vorfahren oder Zeitgenossen erzählen, und ungeachtet ihrer späteren
Verfälschung geben die competentesten Richter zu, dass sie wirk-
liche historische Vorgänge enthalten. Aber im 9. oder 10. Jahr-
hundert kamen christliche Missionare über die Ostsee und brachten
den Einwohnern des nördlichen Europai l) Kunde von ihrer Re-
ligion. Kaum war dies geschehen, so fing man an, die Quellen
der Geschichte zu vergiften. Am Ende des 11. Jahrhunderts sam-
melte Sämund Sigfussen, ein christlicher Priester, die bisher un-
geschriebenen populären Geschichten des Nordens in die sogenannte
ältere Edda und begnügte sich damit, nur eine zurechtweisende
christliche Hymne hinzuzufügenü") Hundert Jahre später wurde
eine zweite Sammlung gemacht; jetzt hatte aber das christliche
Princip schon länger gewirkt und zeigte dies noch deutlicher. In
dieser Sammlung der jüngeren Edda ist eine aller-liebste Mischung
von christlichen, jüdischen und griechischen Märchen und zum
ersten Male finden wir in den Annalen Skandinaviens die weit ver-
breitete Fabel von einer Trojanischen Abkunftßß)
Wenden wir uns nach einem andern Welttheil, so ünden wir
dort reichliche Bestätigung unserer Ansicht. In Ländern, wo keine
Rcligionsveränderung vor-ging, finden wir die Geschichte glaub-
würdiger und zusammenhängender als in Ländern, wo eine Ver-
3') Der erste Missionär war Ebho um das Jahr S22; dann Anschar, der später
bis nach Schweden vordrang, jedoch mit langsamem Erfolg. Erst im 11. Jahrhundert
wurde das Uhristenthum im Norden sicher gegründet; siehe Neander V, 373, 374,
379, 380, 400_402 und Moskeün, Kirchengeschichte I, 188, 215, 216; endlich Barry,
Hist. qf the Orlcazeg; Islzmds 125. Es ist ein Irrthum, dass die Dänen in Irland schon
unter Ivar I. Christen gewesen. Ledwich wurde durch eine Münze, die sich aber auf
[var II. bezieht, dazu verleitet. Petrie, Eccles. archiiect. qf Irelmzd 225 und Led-
wialfs Antiquities of Ireland 159.
39) Wkeaton, Hist. of the Nortkmen 60.
33) Wheaton 89, 90; Mallet, North Antiq. 377, 378, 485; Sclzleyel, Ilect. I, 265.
Diese Einsehaltungen sind in der That so zahlreich, dass die ältesten Deutschen Alter-
thumsforseher die Edda für ein Machwerk der nordischen Mönche hielten, was Müller
yor 40 Jahren widerlegt hat. Anmerkung zu Wlzeaton 61. Vergl. Palgraveäs English
Cßmmonwealtk, Angle Samen period I, 135.